Rezension

Ein Steg aus phänomenalen Formulierungen ins Offene Gewässer

Offene Gewässer -

Offene Gewässer
von Romina Pleschko

Bewertet mit 4 Sternen

Die 1983 geborene Oberösterreicherin Romina Pleschko erschafft in ihrem zweiten Roman „Offene Gewässer“ Sätze wie folgenden:

„Ich gewöhnte mich nie daran, neben einem sterbenden Märtyrer zu tafeln, und weil es den meisten ebenso erging, fragte ich mich, ob er eventuell ganz bewusst als kostenminimierende Appetitzügelungsmaßnahme in dieser selbst für enthusiastische Katholiken unüblichen Größe und Präsenz konzipiert worden war.“

Beschrieben wird hier der Essensaal samt der Statue des gekreuzigten Jesus Christus der katholischen Internatsschule, in welchem die Protagonistin und herrlich bissige Ich-Erzählerin des Romans eine Zeit lang speisen musste.

Elfi ist die sprachwitzige Erzählerin im vorliegenden Roman. Sie berichtet uns davon, wie sie als Kind durch erst einmal nicht näher bekannte Umstände aus der Heimat Stuttgart mit Umweg über ein Kinderheim hin zur Großmutter nach Oberösterreich ziehen musste. Der idyllische Ort Liebstatt liegt an einem ebenso idyllischem See, der für Elfi immer wieder erst unfreiwilliger und dann täglich aufgesuchter Rückzugsort vor den Bewohnern des Ortes wird. Denn irgendetwas stimmt nicht mit den Eltern von Elfi. Es wird ein Gerichtsverfahren erwähnt, es gibt kurz angebundene Briefe, aber so richtig erfahren wir und auch die Bewohner Liebstatts nie, was da eigentlich los gewesen ist. Deshalb ranken sich immer wieder Gerüchte um dieses Mädchen, was nie so richtig hineinzupassen scheint in die Gemeinde. Oder ist sie vielleicht auch einfach ein ganz normales Mädchen mit ganz normalen Problemen des Aufwachsens?

Ihre Geschichte schildert Elfi in ganz grandiosen Sätzen, die man sich alle wie sie da stehen markieren möchte ob ihrer phänomenalen Formulier- und Fabulierkunst. Gerade im ersten Teil des Romans, welcher mit „Liebstatt“ überschrieben ist, funkeln diese bitterbösen Edelsteine des Schreibens auf. So auch dieser hier:

„Bei fremden Eltern lief es eigentlich immer gut für mich, ich genoss es, mich als optimales Ergebnis eines solide verlaufenen Heilungsprozesses selbst anzupreisen, nur um die Unterstützung mir genetisch nicht verbundener Erziehungsberechtigter zu erlangen.“

Diese trockenen, detailreichen und unglaublich ironischen Beschreibungen machen einfach Spaß beim Lesen. So folgt man Elfi gern durch ihre Jugend mit durchwachsenen Erfahrungen bei der Partnersuche. Wobei „Suche“ kann man es kaum nennen, hat sie doch beim Schauspiel-Sommerkurs bereits ihren zukünftigen Ehemann kennengelernt. Diesen bezeichnet sie somit auch gleich nur noch als „den Mann“, der nur noch um den Finger gewickelt werden muss. Man begleitet sie durch die jugendliche Amateur-Schwimmkarriere, welche nur begann, da sie große Hände und Füße hat, und hin zur Schauspielausbildung, die sie eigentlich nur antrat, da ihr nichts besseres einfiel.

Doch dann kommt es zum Cut, wir wechseln nach zwei Dritteln des Buches in den zweiten mit den Worten „Statt lieb“ überschriebenen Teil des Romans. Das „Danach“. Und hier entglitt mir die freche Protagonistin des ersten Teils zunehmend. Man erkennt die nun zunehmend unzufriedene bis verbitterte Person kaum wieder. So treibt die Faszination für die Figur auf dem offenen Gewässer des Liebstätter Sees zunehmend davon bis man ihre Handlungen gar nicht mehr versteht. Schien die Figur in ihrem Humor bisher eine sehr resiliente Persönlichkeit, fehlt ihr dies zum Ende hin. Da in diesem Teil der Ton zu wechseln scheint, gehen auch die geliebten bissigen Formulierungen verloren.

Letztlich störte mich auch, dass wir über den gesamten Roman hinweg immer wieder mit winzig kleinen Andeutungen zu den Eltern gelockt werden, aber letztlich das Thema komplett vernachlässigt wird und wir keinerlei Grund erfahren, warum Elfi überhaupt bei ihrer Großmutter gelandet ist. Es bleibt eine Leerstelle, die tatsächlich stört.

Aufgrund der von mir heiß geliebten Sprache dieses Romans bekommt er trotz der Schwächelei zum Ende hin von mir gern 4 Sterne. Wie immer ist die Optik und Haptik des Buches aus dem Kremayr & Scheriau Verlag sehr gelungen und einfach etwas Besonderes im Bücherregal.

4/5 Sterne