Rezension

Ein Stück deutsche Geschichte!

Von Grenzen und Stegen -

Von Grenzen und Stegen
von Steffen Hahn

Bewertet mit 4 Sternen

Familiengeschichte - Jugendgeschichte - deutsche Geschichte

Steffen Hahn, Von Grenzen und Stegen, Selfpublisher, 2021

Steffen Hahn erzählt von seiner Familie, Vater, Großeltern väterlicherseits, Mutter, Großeltern mütterlicherseits: Vater ist in der DDR aufgewachsen und hat die Zwänge dort bald brutal mitbekommen, er und seine Eltern wurden verhaftet, weil er sich mit Ausreise (Flucht) – Gedanken trug und erste Schritte unternommen hatte. Gespräche alleine ohne wirklich den Versuch unternommen zu haben genügten, um ihn ins ‚Zuchthaus‘ zu bringen. Er ist nach Sofia, Bulgarien, gereist, um dort mit einem ‚Fluchthelfer‘ seine Flucht zu versuchen. Ging aber alles schief. Die Organisation war wohl nur eine Tarnorganisation, um Fluchtwillige anzulocken. (Vielleicht auch das geplante Geschäftsmodell der DDR Regierung, um wieder an Devisen zu kommen).

Nach einem Jahr Gefängnis ist der Vater ‚freigekauft‘ worden (wie das damals hieß). In diesem Fall wohl ein ‚win-win‘ für die Bundesrepublik Deutschland, denn der Vater war ein versierter Handwerker, genau wie dessen Vater (die Eltern wurden ebenfalls freigekauft).

Im Westen hat sich die Familie ein neues Leben aufgebaut (und relativ gut, so wie ich das verstanden habe). Der Vater lernte die Mutter kennen, die aus einer teils sehr Nazi-treuen Familie stammte und die sich freischwamm. Dank der 68er Studentenrebellion!

Hahn berichtet von späteren Zusammentreffen der Herkunftsfamilie des Vaters in der DDR und wie diese Treffen abliefen (Bespitzelung). Sehr gut sich mal wieder darüber im Klaren zu sein, was für ein freies Land wir sind (auch wenn es hier Mängel gibt wie in jedem Land der Welt, gegen die Mängel kann man sich ja einsetzen, um diese auszumerzen).

Ich empfinde seinen nüchternen Erzählstil als ganz angenehm, ohne zu viel Emotionen. Da ich lange nicht in Deutschland gelebt habe, ist das auch ein Eintauchen in mein Herkunftsland.

Im zweiten Teil erzählt der Autor von seinem Aufwachsen, Schulbesuch, der Suche nach seiner beruflichen Eignung. Dieser Teil ist mir zu persönlich; Steffen Hahn ist eigentlich noch zu jung für eine Autobiografie. Doch es ganz nett zu seinem ‚coming-of-age- zu lesen. Er schafft es Jura zu studieren (in dieser Disziplin gibt es viele Studienabbrecher). Heute ist er Jurist, der erste in seiner Familie...

Dagegen handelt der dritte Teil vom Ist-Zustand in der Bundesrepublik Deutschland und hat im großen Ganzen mit dem politischen Selbstverständnis des Autors zu tun. Die Wiedervereinigung ging zu schnell, viel zu schnell – da stimme ich auch mit dem Autor überein, und wie er sagt, zum Nachteil der Ostdeutschen. Es hätte behutsamer sein sollen. Und er hat Recht, in Deutschland hat sich einiges verändert – zum Nachteil der Republik. Wir haben jetzt eine Unruhe stiftende neue Partei im Bundestag und in so gut wie allen Landesparlamenten. (Zwar gab es solche Gruppierungen schon immer in den Parlamenten, unter unterschiedlichen Namen, weil Deutschland eben auf Demokratie großen Wert legt). Doch jetzt wurde die Grenze zum Erträglichen durchbrochen.

Das Buch ‚Von Grenzen und Stegen‘ ist das ambitionierte Erstlingswerk eines Jungautors. Schreiben kann er! Ein gutes Lektorat hat er auch in Anspruch genommen. Das Titelbild, ein Stück Mauer und ein Schattenbild eines Menschen davor, ist ebenfalls gut gestaltet. Er weiß auch die Werbetrommel zu rühren (mit einem Videofilm und 50 kostenlosen Büchern an eventuelle Rezensent:innen). Es gibt einige ältere Mitmenschen, die über die Herkunft ihrer Familien forschen, das ist eine gute Sache für zukünftigen Generationen, man sollte wissen woher die Wurzeln stammen. Für einen ‚sozialen Aufsteiger‘ ist wichtig eine gesunde Portion Selbstbewusstsein mitzubringen und das hat er. Und so wie zu lesen war, steckt auch viel Herzblut in dem Buch.

Ich wünsche dem Buch viel Erfolg!