Rezension

Ein Thriller, der süchtig macht

Der Dämon von Vermont -

Der Dämon von Vermont
von Vincent Hauuy

Bewertet mit 5 Sternen

Klett&Cotta mit seinen Lektoren haben sich wieder einmal bei DER DÄMON VON VERMONT mit der Titelgebung selbst übertroffen. Sie konnten dem Originaltitel „Le tricycle rouge“ nichts abgewinnen. DAS ROTE DREIRAD wäre viel zu simpel und nicht verkaufsfördernd gewesen.

Ex-Top-Profiler Noah Wallace ist nur noch ein Schatten seiner selbst, seit seine Frau Maggie vor 5 Jahren entführt wurde und bei einem Unfall im Auto verbrannte - zusammen mit einem Serienkiller, genannt der "Dämon von Vermont". Noah, seelisch und körperlich ein Wrack, leidet unter Amnesie und geht am Stock. Mit dem Job als Berater der Vermont State Police ist nichts mehr, dafür arbeitet er als Sachbearbeiter in einer Versicherungsanstalt mit Rachel, seiner Aphrodite Kallipygos.

Da scheint der totgeglaubte Serienkiller zurückzukehren. Jenseits der Grenze im kanadischen Québec werden drei theatralisch aufgebahrte Leichen entdeckt – mit beiliegender maschingeschriebener Nachricht an Noah. Deshalb werden sein ehemaliger Kollege und Freund Steve Raymond, der für die Major Crime Unit der Vermont State Police arbeitet und Wallace nach Kanada zum Tatort des Verbrechens geholt. Für die Sureté du Québec bearbeitet Inspecteur Bernard Tremblay.

Noah analysiert den Mörder: „Er ging methodisch und akribisch vor, ergötzt sich an der Angst seiner Opfer und hegte einen abgrundtiefen Hass gegen die Kirche. Außerdem ist die Auswahl seiner Opfer bezeichnend: keine jungen Frauen, wie es bei einem psychopathischen Serienmörder häufig der Fall ist. Es handelt sich um einen Einzeltäter und seine Taten sind die Folge eines Traumas, das er in seiner Kindheit erlebte. Um ihm auf die Spur zu kommen, muss man ihn verstehen, ihn entschlüsseln.“ Noah steht regungslos da, hat die Augen geschlossen, hält den Atem an und vernetzt sich mit dem Tatort, um die Schwingungen, den Rhythmus, die einzelnen Töne zu erfassen. Diese Verankerung ist notwendig, um seinen Sinneswahrnehmungen mittels seiner Vorstellungskraft konkrete Formen zu geben.

Im Team von Inspecteur Bernard Tremblay noch seine Nichte Clémence, das kanadische Profiler Pendant zu Noah, kachektisch, klappendürr, aber nicht ohne Charme. Tremblay hält nicht viel von übersinnlichen Erfahrungen, er ist pedantischer Analyst, ein Puzzlefreund, der aktuell mit 32tausend Teilen New York! zusammensetzt. Mit der Stoppuhr werden die Arbeiten am Puzzle akribisch dokumentiert. Für jeden Kanadier eine Herausforderung, für ihn eine besondere. Was hat das mit dem Fall zu tun? Eben dieser besteht aus weit mehr Teilen, eine noch größere Herausforderung.

Unabhängig von den Mordfällen recherchiert die junge Journalistin und Bloggerin Sophie Lavallée im Fall des 1977 verschwundenen Reporters und Privatdetektivs Edgar Trout. Die Aufforderung dazu findet sie im Darknet. Eine Schnitzeljagd beginnt. Ihre Nachforschungen gefallen einigen Leuten nicht und bevor es für sie tödlich endet ergreift sie die Flucht.

Die komplexe Geschichte wird geschickt und spannend erzählt, sowie mit außergewöhnlichen Figuren besetzt und deren diffizile Ausbreitung ihrer Charaktereigenschaften. Allen voran Noah, mit seiner endlosen Liste persönlicher Probleme, einem Tumor in seinem Hirn, seinen übersinnlichen Fähigkeiten und seinem Gedächtnisverlust, der acht Jahre seiner Jugend ausgelöscht hat.

Hauuy sorgt für einiges an Verwirrung mit einer Menge ausgestreuter Puzzleteile, die Spannung zieht stetig an, das Rätsel wird nach und nach in einem hochdramatischen Finale aufgeklärt.

Hauuy entwirft ein wüstes Komplott irrer Wissenschaftler und Politiker, um einerseits eine Art ‚Killermaschine‘ zu erschaffen, während andererseits niederste Triebe befriedigt werden sollen. Ob ihm auf diesen Spuren alle Leser folgen wollen bleibt ungewiss.

Debüt-Autor Vincent Hauuy hat einen sehr spannenden und niveauvollen Thriller verfasst. Keine Banalitäten, keine Oberflächlichkeit, nur eine kleine Prise Humor, das tut gut. Ein aufreibendes Grundthema, nicht für jedermann, doch für den Leser, der ihm folgt ein Hochgenuss. Dazu ein Hauptprotagonist Noah, eine der schillerndsten Persönlichkeiten im Thriller und überhaupt mit unzähligen Fassetten, dazu zwei weibliche Akteure, Sophie und Clémence, zuerst getrennt voneinander agierend, dann im Finale furioso Seite an Seite. Für mich ein Thriller Highlight des Jahres. Ein Pageturner und ein wahrer Bestseller.

Noah Wallace 2 wartet bereits (auf die Übersetzung).