Rezension

Ein wahrhaft barnistisches Versteckspiel

Elizabeth Finch -

Elizabeth Finch
von Julian Barnes

Bewertet mit 5 Sternen

Neils prägende Jahre finden in der Abenduni statt. Völlig fasziniert von seiner Dozentin Elizabeth Finch hängt er an ihren Lippen, analysiert detailverliebt Sprache, Kleidung und Auftreten. Das kulturphilosophische Seminarthema des Kaisers Julian aus dem 4. Jahrhundert ist Dreh- und Angelpunkt für die Frage der Entwicklung Europas. Kaiser Julian wollte das Christentum aufhalten und zur polytheistischen Götterwelt der Antike zurückkehren. Er ging als Julian Apostata, der Abtrünnige, in die Geschichtsbücher ein. Fortan wurden seine Streitreden durch die Jahrhunderte dem jeweiligen Ansinnen des Interpreten angepasst zitiert. Die Heilige Ursula und ihre 11 (bis 11000) Jungfrauen mussten noch für den menschen- und freiheitsfeindlichen Monotheismus Beispiel geben, doch Gegner und Befürworter von Julian Apostatas gescheitertem Lebensziel reihten sich fortan durch die Jahrhunderte, bishin zu Adolf Hitler, dem wohl niemand gern ein Vorbild gewesen sein wollte.
Neil, erfolgloser Schauspieler, gescheiterter Ehemann und König der unvollendeten Projekte, hat zwar eine kurze Affaire mit der Seminarteilnehmerin Anna, bleibt aber dem Reiz seiner Dozentin auch über die Beendigung des Studiums hinaus, erlegen. Elizabeth und Neil verabreden sich noch Jahre später regelmäßig, doch ihre Zuneigung bleibt platonisch und auf feingeistige Gespräche beschränkt.

Als Elizabeth verstirbt, vermacht sie Neil all ihre Bücher und Aufzeichnungen. Neil ringt um posthume Anerkennung der Frau, die ihn so nachhaltig geprägt hat und schreibt ein Essay über Julian Apostata. Anschließend versucht er der privaten Person Elizabeth Finch näher zu kommen, ihr Bruder ist ihm dabei keine befriedigende Hilfe. Er beschließt Anna wiederzutreffen. Anna, weitaus pragmatischer und mit ganz eigenem Wissen über Finch, rückt Neils Kopf zurecht...

Elizabeth Finsch bleibt, bis auf ein einschneidendes Ereignis, kaum greifbar und doch hängt man, gleich Neil, an ihren Aussagen fest, wiegt sich in ihren Ansichten. Neil verbeißt sich in die Vita dieser Frau, verbringt quasi den Rest seines Lebens damit, sich ihre Memoiren zu erschaffen. Neil, der steuerlos auf den Wellen seines Lebens dahintrieb, bis er seine Obsession am ersten Tag von Elizabeths Seminar fand.

Eigentlich müsste dieser Roman "Elizabeth Finch und Julian Apostata" heißen, beanspruchen beide doch einen gleichwertigen Anteil im Buch, doch dann hätten wir Julians Barnes Talent zur versteckten Wissensvermittlung maßlos unterschätzt. Die Latenz der Einsicht, sie entfaltet sich erst nach dem letzten Satz. "Und wenn Sie ein ironisches Lachen hören, dann ist es meins", deutet an, dass Barnes mit seinen Lesern spielt. Es ist ein unterhaltsames Spiel, lehrreich und anregend. Es reizt zum Widerspruch und wer fertige Gedanken erwartete, der ging nicht durch Elizabeth Finchs Gedankenschule. "Über das eine gebietet man, über das andere nicht." Was Barnes schrieb, lag nicht in unserer Macht, wie wir es deuten, sehr wohl.