Rezension

Ein Zeitzeuge aus dem Exil

Der Anfang vom Ende -

Der Anfang vom Ende
von Mark Aldanow

Bewertet mit 4 Sternen

Europa Ende der 1930er Jahre. Den Menschen über 30 ist die Erinnerung des 1. Weltkriegs noch im Kopf und trotzdem rüsten sich die Länder erneut für den Kampf. In Spanien tobt der Bürgerkrieg (1936-1939), das faschistische Italien hat Abessinien (Äthiopien, 1935) überfallen und in Deutschland schickt sich ein Malergeselle an, die Welt zu erobern.
Es ist die Zeit der Neuordnungen, der Gesellschaftsreformen und der Suche nach diplomatischen Beziehungen. Stalin hat seine Sowjetische Union fest im Griff, sogenannte Säuberungswellen durchlaufen das Land und versetzen die Menschen in Angst und Schrecken.

Es ist das Ende der Zwischenkriegszeit, als sich ein Zug von Moskau Richtung Westen auf dem Weg macht. Das Ziel ist Paris und an Bord befinden sich drei Herren aus sehr unterschiedlichen Kreisen, doch alle mit russischem Auftrag im Gepäck. Botschafter Kangarow soll diplomatische Beziehungen knüpfen, das Militär in Form des ehelmailgen Weißgardisten Tamarin soll die Spanier in ihrem Krieg strategisch unterstützen und die Aufgaben des schwerkranken Bolschewisten Wislicenus bleiben unklar. Er arbeitet im Untergrund, doch wird der Jäger bald auch zum Gejagten.

Alle Drei hoffen, in Paris in Vergessenheit zu geraten, nur die junge, hübsche Botschaftssekretärin Nadja träumt von einer Schriftstellerkarriere in ihrer russischen Heimat. Das Leben in der Stadt der Lichter geht seinen Gang, Freud und Leid liegen dicht beieinander.

Aldanow beleuchtet die Gesellschaft in Paris ausführlich und nimmt sich Zeit, uns die Geschichte des französichen Schriftstellers Vermandois und seines Sekretärs Alvera, der schließlich einen Doppelmord begehen wird, zu erzählen. Es mutet wie ein Abschweifen von unseren eigentlichen Protagonisten an, doch wird bald deutlich, dass Aldanow exemplarisch die Irrungen und Wirrungen des Menschen im Angesicht der großen Unsicherheiten, die sich aus allen Richtungen anbahnen, wiedergibt und letztendlich auch unsere Hauptfiguren trifft.

Der 1896 in Kiew geborene Aldanow emigrierte schon 1919 selbst nach Paris, seiner jüdischen Abstammung geschuldet 1940 nach New York. Als Exilrusse verstand er die Sorgen und Nöte seiner Landsleute und hat mit diesem Roman ein Portrait seiner Zeit gezeichnet, das keine abgeklärte Rückschau ist, dafür vielmehr eine prophetische Weitsicht aufweist, die einem angesichts imperialistischer Bestrebungen aus dem Osten, kalte Schauer über den Rücken laufen lässt. Denn ähnlich Stalin, lässt auch Putin keine Zweifel an seinem Machtstreben.

Ein Vorwort von Sergej Lebedew vom Oktober 2022 und ein Nachwort von Andreas Weihe, der auch aus dem Russischen übersetzt hat, ordnen Text und Autor zielsicher ein. Lebedew schürte Erwartungen in mir, die der Roman scheinbar nicht einhalten wollte, doch mit ein wenig Bedenkzeit, war auch dieser Zwiespalt überwunden. Aldanow ist mir verständlicher als der viel bekanntere Boris Pasternak. Aldanow hat mich gut und nachvollziehbar unterhalten.

Die großen "Qs" im Text, mit ihren extralangen Unterschwüngen waren eine zwar seltene, dafür aber umso willkommener Augenoase für mich. Allerdings haben mich die auch in wörtliche Rede gesetzten Gedanken (gleiche Zeichensätze) manchmal aus dem Tritt gebracht. Ebenso die fränzösichen Textpassagen, die zwar auf der selben Seite, aber immer in der kleineren Schrift einer Fußnote übersetzt wurden, spielten dann wieder Ping Pong mit meiner Sichtachse.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 22. Juli 2023 um 09:13

Sehr wertschätzend. Ich habs mehr von der Gegenwart her gelesen, da hat es mich gelangweilt. Aber für mitten im Krieg - wars natürlich ein Knaller.Aber ich wette, es hat auch damals schon vele Leser gelangweilt. Diese ellenlangen Monologe. Wenn ellenlange Monologe, dann spannende. Monologe können überhaupt nur wenige. Auster kann!