Rezension

Eindringlicher, wichtiger Roman über die Kolonialzeit

Die Stunde des Elefanten -

Die Stunde des Elefanten
von Otto de Kat

Bewertet mit 5 Sternen

REZENSION – Vor über 25 Jahren veröffentlichte der niederländische Journalist Jan Geurt Gaarlandt (77) seinen ersten Roman „Mann in der Ferne“ unter dem Pseudonym Otto de Kat, das er auch für alle folgenden Werke nutzte. Im Februar erschien nun sein Buch „Die Stunde des Elefanten“ beim Verlag Schöffling & Co, ein Roman über das dunkle Kapitel niederländischer Kolonialgeschichte, den „Völkermord unter der niederländischen Trikolore“. Darin stellt er mit Maxim van Oldenborgh und seinem Freund W. A. van Oorschot zwei ehemalige Leutnants der niederländisch-ostindischen Kolonialarmee gegenüber, die auf unterschiedliche Weise versuchen, ihren Einsatz kurz nach 1900 im Atjeh-Krieg gegen die Freiheitskämpferin Tjoet Nja Dinh (1848-1908) zu verarbeiten.

Maxim ist im Sommer 1909 bereits Bürgermeister der holländischen Nordsee-Insel Texel, verheiratet mit Roy und Vater von zwei kleinen Kindern. Dort besucht ihn für einige Tage sein Kriegskamerad W. A., mit dem er sich in der Kolonie während eines Lazarettaufenthalts angefreundet hatte. In den Gesprächen über ihre Dienstzeit wird deutlich, dass beide Kameraden die dort von verantwortungslosen Kommandeuren wie Oberst Frits van Daalen (1863 bis 1930) an Einheimischen verübten Gräuel entsprechend ihrem gegensätzlichen Charakter auch unterschiedlich verarbeiten oder dies zumindest versuchen. Während W. A. sich seine psychische Last von der Seele schreibt, indem er durch Vermittlung einflussreicher Gleichgesinnter noch während seiner Dienstzeit unter dem Pseudonym „Wekker“ in mehreren Zeitungsartikeln in den Niederlanden den willkürlichen Massenmord an Einheimischen und die Machenschaften verantwortlicher Kolonialherren anprangert, damit die Menschen in seiner Heimat „aufwecken“ will und tatsächlich für Unruhe im Parlament sorgt, hat sich Maxim mit seinen „vergrabenen“ Erinnerungen auf die kleine Insel zurückgezogen, schweigt über das Erlebte – selbst im Ungewissen, ob auch er an solchen Morden beteiligt war oder sich nur die Schuld anderer zu eigen macht. „War er vielleicht bei dem verbrecherischen Marsch durch die Gajo- und Alasländer dabei gewesen, auf denen Hunderte Frauen und Kinder erschossen worden waren, nur dass er das verdrängt hatte?“ Maxims Freund „Wekker“ ist es inzwischen gelungen, sich auch schöner Momente in der Kolonie zu erinnern, nicht aber ihm selbst, wie er sich eingesteht: „Wie schaffst du das, diese Erinnerungen intakt zu halten“, fragt Maxim seinen Freund, „ich krieg das nicht hin, bei mir sind sie fast immer düster, beschmutzt.“ Deshalb empfiehlt ihm sein Freund, unbedingt psychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Doch trotz ihres soldatischen Einsatzes in der Kolonie und der von Landsleuten verübten Verbrechen fühlen sich beide Kameraden von diesem exotischen Land gepackt: „Ostindien ist vollkommen anders. Wir gehören da nicht hin, aber man muss nur einmal dort gewesen sein und schon ist man verloren.“ Maxim bleibt trotz dieser Sehnsucht auf seiner kleinen Insel, während W. A. als Direktor der Eisenbahngesellschaft nach Niederländisch-Ostindien zurückkehrt.

Dem Autor gelingt es mit seinem ähnlich einem Kammerspiel überwiegend auf nur zwei Personen beschränkten Roman auf packend eindringliche Weise, uns durch die Gegenüberstellung seiner charakterlich gegensätzlichen Protagonisten dieses düstere Kapitel niederländischer Kolonialgeschichte objektiv näherzubringen – wohlwissend, dass die Niederlande in jener Phase der Kolonialisierung keine Ausnahme waren: „Niederländer, Deutsche, Engländer und Franzosen – wo sie auftauchen, richten sie ein Blutbad an.“ Er schildert das politische Denken und Handeln jener Zeit und das Fehlen politischer Kontrolle über die Kolonie aufgrund der weiten Entfernung zum Indischen Ozean. Zugleich zeigt er aber auch die Faszination der Weite dieses exotischen Indonesiens damaliger Zeit auf einige junge Kolonisten, die aus ihrer in engen Grenzen lebenden und denkenden Heimat ausbrechen wollten: „Wie lächerlich das doch ist, sich trotzdem nach einem Feldlager in einer magischen Landschaft zu sehen, nach dem Ruf eines Elefanten, nach Urwald, der an den Berghängen emporwuchert.“ Otto de Kats Roman „Die Stunde des Elefanten“ ist eine ausgezeichnete und wichtige Erzählung, um die Kolonialzeit um 1900 – nicht nur die niederländische – und ihre Menschen etwas besser verstehen zu können.