Rezension

Eindrücklich und mitfühlend

Die rote Tänzerin -

Die rote Tänzerin
von Joan Weng

Bewertet mit 5 Sternen

Anita Berber, ganz anders als ihr Ruf...

Ich kenne bereits einige Bücher von Joan Weng, aber mit ihrem Roman „Die rote Tänzerin“ hat sie einen vollkommen neuen Weg eingeschlagen: es ist ein Roman - keine Roman-Biografie, denn die intensive Recherche ist zwar deutlich spürbar, aber Autorin vermischt die historischen Fakten mit Fiktion „Wie es hätte sein können“ und überlässt es uns Leser*innen, unsere eigenen Schlüsse zu ziehen. Das Buch ist zwar fokussiert auf die Tage, die Anita Berber mit Otto Dix verbracht hat, der ihr (und auch sich) mit dem Bild „Bildnis der Tänzerin Anita Berber“ ein Denkmal setzte, aber wir erfahren auch viel über das Leben, die Gedanken, die Gefühle, Sorgen usw. der „Femme Fatale“ der 1920-er Jahre.

Ich lese gern historische (Kriminal-)Romane und hatte immer den Eindruck, dass in jedem Buch, dass in dieser Zeit spielt, Anita Berber mit mindestens einem Satz erwähnt wird, ich bin förmlich über sie „gestolpert“, meist als skandalumwitterte Nackttänzerin, exzessiv drogenabhängig, die keinerlei Hemmungen kannte.

Joan Weng nimmt einen anderen Weg: sie zeigt uns eine sehr verletzliche und einsame Frau. Sie schreibt im ausgezeichneten und informativen Nachwort: “Und je mehr Monographien ich über die Berber las, desto mehr faszinierte sie mich - ihr wilder Lebenshunger, ihre Verletzlichkeit und auch ihr früher Tod waren für mich immer sinnbildlich für die junge Weimarer Republik.“ (S. 247). Sie beschreibt Anita Berber als sehr intelligente Frau, die zumindest zeitweise – wenn sie keine Drogen konsumiert hatte – einen klaren Blick auf sich und ihre Handlungsweisen hatte.

Eigentlich träumte „die Berber“ von einem bürgerlichen Leben, mit Mann, Kindern und einem Garten voller Tulpen – obwohl sie realistisch reflektiert, dass ihr das wohl nie gelungen wäre. Sondern „Tanzen wollte sie, tanzen und fliegen und fallen und taumeln, um die Qual ihrer Seele zu heilen oder wenigstens zu lindern.“ (S. 196). Oder auch „Sie war die Inflationsprinzessin, und die Inflation war vorbei, jetzt war sie wertlos wie ein Hunderttausendmarkschein.“ (S. 205)

Joan Wengs Roman ist sehr eindrücklich und empathisch, der mich in seinen Bann gezogen hat und nachhaltig beeindruckt hat. Sie lässt vieles offen, so z.B. die Art der Beziehung zwischen Anita Berber und Susi Warnowski oder was „wirklich“ zwischen Anita und Otto Dix geschah...Darüber müssen wir Leser*innen uns selbst eine Meinung bilden... wie bei einem Blumenstrauß: wir bekommen Anhaltspunkte präsentiert - besonders im oben erwähnten Nachwort – aber die Wahl müssen wir selbst treffen!

Auch von Otto Dix, seinen Hintergründen, seinen Dämonen, seiner Lebensgeschichte erfahren wir „nebenbei“ viel – und ich muss gestehen, am Ende des Buches war er mir sympathischer als zu Beginn, aber ich werde wohl nie ein Fan seiner Bilder...  Aber durch ihn lernen wir die Düsseldorfer Galeristin Johanna Ey kennen, von ihr hatte ich noch nie gehört – und sie hat mich neugierig gemacht...

Es ist kein Buch, dass ich gut hintereinander „weg-lesen“ konnte (wie sonst die Bücher von Joan Weng), aber die Faszination der Autorin für diese Frau hat mich in die Geschichte einbezogen. Ich habe den Menschen hinter der „skandalösen Berber“ erlebt, eine einsame und verletzliche junge Frau. Ein vollkommen anderer Blickwinkel – und aus diesem Grund kann und will ich diesem Buch einen großen Erfolg wünschen und spreche ausdrücklich eine Leseempfehlung aus!