Rezension

Eine beinahe zeitlose Geschichte

Enteignung - Reinhard Kaiser-Mühlecker

Enteignung
von Reinhard Kaiser-Mühlecker

Bewertet mit 4 Sternen

Ein Journalist von Mitte 40 kehrt nach Jahren im Ausland in die Kleinstadt und in das Haus zurück, in dem er als Kind bei seiner Tante aufwuchs. Sein Leben und seine Beziehungen liegen in der Vergangenheit, seine Gegenwart findet auf Facebook statt. Die berufliche Zukunft des Mannes bei der Lokalzeitung ist ungewiss, denn wer abonniert heute noch eine Zeitung? Erwartet wird von ihm, dass er das Dorf in seinen Berichten geschickt vermarktet und dem wirtschaftlichen Niedergang etwas entgegensetzt. Die Lokalzeitung befindet sich trotz Sparmaßnahmen in der Krise. Chefredakteur und Erzähler wirken wie die Letzten auf einem sinkenden Schiff. Auch eine Gruppierung im Ort, die den Staat für überflüssig hält, markiert die allgemeine Sinnkrise.

Im drückend heißen Sommer ist ein betagter Landwirt tödlich verunglückt. Der Icherzähler wird für „Die Rundschau“ an den Unfallort geschickt. Der Sohn und Erbe des Toten scheint ihn nicht wiederzuerkennen. Der Altbauer war in der Kindheit des Erzählers als Ökobauer Außenseiter im Dorf. Statt der wirtschaftlich nötigen Erweiterung droht dem Hof aktuell Enteignung von Flächen für einen geplanten Windpark. Der Journalist beginnt, noch immer unerkannt, ein Praktikum in Flors Schweinezucht. Zaghaft hatte er zuvor eine Beziehung mit einer alleinerziehenden Mutter aufgenommen, mit der auch der verheiratete Flor eine Affäre hat. Die Paare scheinen sich gegenseitig zu belauern, bis einer der Beteiligten Schwäche zeigt.

Landwirtschaft und Journalismus zeigt Kaiser-Mühlecker als Branchen im Abstieg und als beinahe reine Männerwelt. Der namenlose Icherzähler irrt in dieser Welt umher, unfähig zur Entscheidung oder zur Kommunikation. Die männlichen Figuren scheinen große Schweiger zu sein, darauf wartend, dass ihnen Entscheidungen abgenommen werden. So wie es auf Flors Hof keinen überflüssigen Gegenstand gibt, scheint selbst Sprache ein überflüssiger Luxus zu sein. Die Unentschlossenheit des namenlosen Icherzählers in der Mitte seines Lebens hat auf mich absolut überzeugend gewirkt. Enteignet wird jede der Figuren, die Arbeit, Vermögen, Partner, Gesundheit und Identität verlieren. Eine Geschichte wie ein klarer Föhntag, die mit wenigen Sätzen die Ereignisse näher an den Betrachter heranholt.