Eine emotionale, wie auch schockierende Geschichte
Bewertet mit 5 Sternen
Nach einigen Buchveröffentlichungen hat A. A. Kästner nun ihr neustes Werk „Die Freiheit so nah“, das September 2023 im Droemer Verlag erschienen ist, vorgelegt. Leider muss ich gestehen, dass ich weder die Autorin noch eins ihrer Bücher gelesen habe, aber dies sollte sich schnell ändern. Allein das Cover und der dazugehörige Klapptext hatten meine Neugierde sofort geweckt und ab da wusste ich, diesen Roman muss ich unbedingt lesen. Ich liebe Geschichten, die um und über Berlin (West oder Ost) spielen und wenn diese auf einer wahren Begebenheit beruhen, umso mehr.
Bereits nach der ersten Seite hatte mich der bildhafte und flüssige Schreibstil der Autorin in seinen Bann gezogen. Zu keinem Zeitpunkt wollte bzw. konnte ich den Roman aus den Händen legen, denn ich wollte einfach in Kays wahre Geschichte eintauchen. Während des Lesens hatte ich sogar das Gefühl, dass ich nicht lese, sondern einer Erzählung lausche. Bei mir entstand ein unbeschreibliches und einmaliges Lesegefühl, dass ich so noch nicht kannte. Wahnsinn, wie nah mich das Gelesene berührte.
Die Geschichte handelt von 8 Freunden, die sich seit Jahren kennen. Einige davon seit der Kindheit, andere sind im Laufe des Lebens dazu gekommen. Eine ganz normale Clique, die nicht nur zusammensitzen und ihr Bier trinkt, sondern auch über all ihre Sorgen oder gar Träume sprechen. Einer davon ist Kay, dessen Geschichte hier erzählt wird. Seit langem hegt er seinen Wunsch: er möchte, wie sein Vater, Seemann werden und dafür tut er fast alles. Endlich ist die Schulzeit vorüber und er kann sein berufliches Ziel verfolgen. Tatsächlich darf er anheuern und als einer der wenigen DDR- Bürger die „Welt erobern“. Für Kay geht nicht nur sein Traum in Erfüllung, nein, für ihn ist es einfach ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Endlich ein Stück Freiheit genießen und dabei die Welt bereisen. Seine Freunde hingegen haben nicht die berufliche Erfüllung gefunden. Es herrscht Frust und ihre Zukunft sieht nicht gerade rosig aus. Doch plötzlich steht für Kay das Wort Abmusterung im Raum und er darf seine Ausbildung nicht mehr fortsetzen. Bei ihm herrscht Ratlosigkeit, denn etwas zuschulden kommen lassen hat er nicht. Er hangelt sich von Job zu Job und sucht zeitgleich nach Antworten auf all seinen Fragen, aber bekommen tut er keine einzige. Je weiter er nachdenkt, desto klarer wird ihm, dass er bespitzelt und angeschwärzt worden ist. Aber von wem? Für seine Freunde würde er durch dick und dünn gehen und das würden auch seine Freunde für ihn tun. Diese Option kann er also ausschließen, aber wer ist es dann? Die Antriebslosigkeit und Zukunftsängste die ihn plagen, findet er bei seiner Clique auch vor. Alle haben einen großen Traum: sie wollen raus aus dem DDR- Regime und tun und lassen was sie wollen. Westmusik hören, einen Beruf ausüben, der ihnen Spaß macht und einfach nur das Leben genießen. Nur wie sollen sie das umsetzen? Untereinander reden sie von Republikflucht und als der erste deswegen verhaftet wird, ist nichts mehr wie es vorher war. Es folgen noch weitere Inhaftierungen und ab diesen Moment war für Kay klar, dass der „Maulwurf“ aus den eigenen Reihen kommt. Nur wer? Bei einem Fluchtversuch von Kay mit zwei seiner besten Freunde passiert das, was keiner vorhergesehen hat.
Die Geschichte ist nicht nur extrem emotional, interessant, sondern auch spannend. Das Thema DDR und ihr Regime hatten wir zwar in der Schule, aber was man hier alles erfährt, ist wirklich schockierend und vollkommen unvorstellbar. Ein Staat, der Mitarbeiter auf seine Bürger setzt, um diese zu bespitzeln, zu denunzieren oder gar zu inhaftieren. Wenn man „großes Glück“ hatte, wurde man entweder von der BRD freigekauft oder ausgewiesen. Man musste alle Zelte abbrechen und alles zurücklassen. Einreisen durfte man auch nicht mehr, auch nicht für einen Besuch bei Verwandten. A. A. Kästner hat in kurzen knappen Kapiteln eine Lebensgeschichte geschrieben, die sich genauso abgespielt hat, wie man sie hier auf 334 Seiten lesen kann. (Anmerkung: es gibt eine klitzekleine Sache, die nicht auf einer wahren Begebenheit basiert, aber das fällt erstens nicht ins Gewicht und zweitens stört es den Lesefluss auch nicht). Frau Kästner hat es geschafft, dass der Leser nahezu „am Ball“ bleibt. Mich haben aber nicht nur die Ereignisse der 80er Jahre fasziniert, sondern auch die des Jahres 2016, als die Clique sich für eine Beerdigung traf. Wie wird das Wiedersehen nach all den Jahren ausfallen? Was hat die Wende ihnen beruflich und auch privat gebracht und wird der Verräter ebenfalls auftauchen?
Während des Lesens machte auch ich mir ein paar (viele) Gedanken u.a. auch zum Verräter, aber herausgefunden wer er war, habe ich nicht. Das erfährt der Leser hier am Schluss und ich muss schon sagen: er hat eine perfekte Tarnung zugelegt.
Vergessen sie einfach alles was sie in der Schule über das DDR-Regime gelernt haben: hier erfahren sie mehr, als sie je geglaubt haben! Ich kann, nein, muss dieses Buch einfach nur weiterempfehlen. Es ist nicht nur informativ, sondern klärt über die deutsch-deutsche Vergangenheit auf. Ein toller Roman und ich muss mich fast entschuldigen, denn ich kann nur 5 von 5 Sternen vergeben!!! Es hat definitiv mehr verdient!