Rezension

Eine Erzählung wie ein Fluss, träge und tückisch zugleich...

Der Fluss ist eine Wunde voller Fische -

Der Fluss ist eine Wunde voller Fische
von Lorena Salazar

Bewertet mit 4 Sternen

Ein Einblick in die Tiefen des kolumbianischen Dschungels, eine Erzählung wie ein Fluss, träge und tückisch zugleich...

Eine junge Mutter und ihr Sohn durchqueren in einem kleinen Boot den strömenden Fluss Atrato in Kolumbien. Sie ist weiß, er ist schwarz. Die beiden sind auf dem Weg zur leiblichen Mutter und im Laufe der Fahrt erfahren wir ihre gemeinsame Geschichte. Dabei fließt die Erzählung wie der Fluss, der sie trägt. Er ist die Ader der Landschaft, eines Urwalds voller Früchte, Tiere und Düfte, aber auch die Ader des menschlichen Lebens. Als der Junge entscheidet, bei wem er leben möchte, nimmt der Roman eine unerwartete Wendung ... Eine literarische Reise von großer Sinnlichkeit über die Zartheit des Mutterseins, die Kraft der Freundschaft und über die Abgründe, die unsere Herkunft mit sich bringen kann. (Klappentext)

"In dem Buch geht es im Wesentlichen um Zugehörigkeit", so verrät die Autorin Lorena Salazar in einem Interview. Das Thema Mutterschaft, die kolumbianische Region Chocó, der Dschungel, das Leben mit und an dem Fluss Atrato bilden den Rahmen für das Hauptthema, das die Protagonistin zeitlebens schon beschäftigt. Als Weiße unter überwiegend Schwarzen ist diese Zugehörigkeit nicht einfach zu erreichen.

Die junge Mutter hat sich mit ihrem schwarzen Sohn in einem Boot auf den Weg flussabwärts gemacht. Ziel ist ein kleines Dorf, in dem die leibliche Mutter des Jungen lebt, die ihren Sohn vor Jahren der weißen Frau in die Arme gelegt und diese gebeten hat, auf ihn achtzugeben. Das hat sie getan, all die Jahre, hat ihm viel gegeben, Liebe, Zuwendung, Pflege, Geborgenheit. In dem Roman bleibt der Kleine namenlos, wird nur "der Junge" genannt. Und doch ist die Liebe der Mutter zu ihm nahezu greifbar. Und die Angst vor dem, was geschehen mag, wenn das Boot das Ziel erreicht hat.

Während der mehrtägigen Fahrt erhält der Leser einen Einblick in das Zusammenleben der weißen Mutter und des schwarzen Jungen, in ihre vergangenen gemeinsamen Jahre, in die Kindheit der Protagonistin, aber auch eine Vorstellung von dem, was ein Leben an dem Fluss im tropischen Regenwald bedeutet. Als einzige Verkehrswege dienen dort nahezu nur die natürlichen Wasserstraßen, vor allem eben der Atrato. Aber der Fluss ist so viel mehr, er ist der Lebensraum für unzählige Menschen und bedeutet Nahrung, Wäsche, Leben und Tod. Dies erfährt die Ich-Erzählerin hautnah während der langsamen Fahrt den Fluss hinab.

Behäbig wie der Fluss treibt auch die Erzälhung dahin. Träge und dumpf die Stunden auf dem Boot, bedächtig die Rückblenden in die Vergangenheit von Mutter und Sohn. Beschaulich, bildhaft und stellenweise nahezu poetisch passt sich der Schreibstil dem Geschehen und der der Schwüle geschuldeten Trägheit an. Das ist äußerst stimmig - und trügerisch. Denn unter der Trägheit lauert durchaus etwas Tückisches, das die ruhige Oberfläche des Stroms nicht vermuten lässst. Das Ende ist definitiv unerwartet erschütternd.

Ein beeindruckendes Debüt präsentiert Lorena Salazar hier, das einen interessanten und gleichzeitig bedrückenden Einblick in die (Un-)Tiefen des kolumbianischen Dschungels bietet. Ein Roman, der das Lesen entschleunigt, bis der Knall am Ende für ein heftiges Erwachen sorgt.  

Interessant, sprachlich versiert, glaubhaft komponiert. 

 

© Parden