Rezension

Eine gelungene Neuerzählung mit tollen Ideen

Belle - Der Fluch von Balmoral Castle - Conny Amreich

Belle - Der Fluch von Balmoral Castle
von Conny Amreich

*Worum geht's?*
Schottland, 1877: Die sechzehnjährige Belle McBean und ihr Vater, der etwas verschrobene Tierarzt von Aberdeen, staunen nicht schlecht, als sie der Befehl erreicht, unverzüglich an den Hof der Königin zu reisen. Sie sollen das Lieblingspferd von Queen Victoria retten. Dabei ist eine Menge Glück im Spiel – Glück, das Belle und ihrem Vater auf ihrer Rückreise fehlt. Durch einen schweren Unfall mit ihrer Kutsche landen die beiden in Kinord Castle, dessen Schlossherr eine furchterregende Bestie ist. Belle bietet sich freiwillig als seine Geisel an, um ihren verletzten Vater zu befreien. Doch je mehr Zeit sie mit der Kreatur verbringt, desto stärker wird ihr bewusst, dass hinter seinem animalischen Äußeren ein gutes Wesen steckt. Sie schließt den Schlossherren in ihr Herz, als plötzlich sein Geheimnis entdeckt zu werden droht …

*Meine Meinung:*
In „Belle – Der Fluch von Balmoral Castle“ erzählt Conny Amreich das Märchen um die Schöne und das Biest neu. Im Schottland des Jahres 1877 wird die junge Belle McBean die Geisel eines mysteriösen Schlossherren, der in einem abgelegenen und gut versteckten Teil Schottlands lebt. Er lebt ein Leben in den Schatten – und das hat auch seinen Grund. Denn aus seinem Kopf ragen seltsame Hörner und seine Hände ähneln reißerischen Klauen. Er ist ein Biest, der die Grausamkeit seines Herzens auch nach außen trägt. Doch Belle ist ein neugieriges Mädchen. Sie will ihn kennenlernen, erfahren, wer er wirklich ist. Wer hinter der grausigen Fassade steckt. Und je näher sie hinschaut, desto mehr Schönheit entdeckt sie. Eine zarte, nicht ungefährliche Liebesgeschichte beginnt.

Den Großteil der Geschichte steht Protagonistin Belle im Fokus des Erzählers. Sie ist eine starke und selbstbestimmte junge Frau, die einen mit ihrem Mut und ihrem Tatendrang schnell beeindruckt. Belle lässt sich nicht von Männern einschüchtern, sie will nicht als zurückhaltende Ehefrau eines Mannes enden, den sie nicht einmal liebt. Sie liest und lernt für ihr Leben gern, will sogar Tierärztin werden und beweist viel Geschick. Selbst als sie im Schloss des Biests haust, zeigt Belle selten Schwäche. Obwohl ihre Neugierde sie in Gefahr bringt, stellt sie sich dem Biest von Angesicht zu Angesicht. Dabei werden in ihr sogar Gefühle wach, die sie bisher nie gekannt hat. Belle McBean ist mutig, loyal und sympathisch, ganz klar eine starke Frauenfigur und tolle Protagonistin!

In einigen Kapiteln wechselt die Perspektive, sodass man auch Einblicke in die Nebencharaktere bekommt: Belles Vater, krank vor Sorge um seine Tochter. Algernon Traddles, Belles Verehrer und ein bewunderter Staatsanwalt, der eine blutige Mordserie an jungen Mädchen aufklären will. Rudya Morphed, die einzige Angestellte im Dienst des Biests. Und natürlich das Biest selbst. Sie alle sind grundverschiedene Charaktere, die ihre Rollen im Geschehen glänzend präsentieren. Als Leser sollte man in diesem dünnen Büchlein allerdings keine tiefgründigen Figuren erwarten, die einen mit ihren Entwicklungen im Herzen berühren. Es sind typische Märchencharaktere, die gut durchdacht, aber eben auch sehr schwarz-weiß gestrickt sind. 

Conny Amreich scheint sich ihre Inspiration zu „Belle – Der Fluch von Balmoral Castle“ aus der Disney-Version des Märchens geholt zu haben. Die bibliophile Belle und ihr Vater (zwar kein belächelter Erfinder, sondern ein belächelter Tierarzt) sind auf sich allein gestellt. Algernon Traddles scheint Gastons Pendant zu sein, wenn auch als angesehener Staatsanwalt und nicht als Jäger. Dazu kommen die Ähnlichkeiten zum Handlungsverlauf sowie das Motiv der Rose und der verlorenen Hoffnung. Wer den Disney-Film kennt, wird das Buch daher schnell durchschaut haben.

Dennoch bringt Conny Amreich auch viele eigene Ideen in ihre Neuerzählung ein, die in der gesamten Geschichte für eine viel düstere Atmosphäre sorgen. Der Fluch des Biests gründet auf einer brutaleren Tat als der Abweisung einer alten Hexe, wie man gleich zu Beginn des Romans im Prolog erfährt. Alles hängt mit dem Indischen Aufstand von 1857 zusammen, genauer mit den Kämpfen der bei Lakhnau. Durch gute Recherche und eine gelungene Mischung aus Realität und Fiktion gelingt es Conny Amreich, das Märchen drastischer, spannender und blutiger neu zu erzählen, ohne dabei die Geschichte von Belle und dem Biest grundlegend zu verändern. So sollte eine Neuerzählung sein!

Mit dem Schreibstil der Autorin hatte ich zu Beginn allerdings meine Probleme. Conny Amreich schreibt sehr deutlich und ungekünstelt. Sie hält sich nicht an blumigen Umschreibungen oder detaillierten Schilderungen auf, sondern schreibt geradeaus, was Sache ist. Dazu sind ihre Sätze oft kurz und knapp, bringen das Wesentliche haarscharf auf den Punkt. All das sorgt in Kombination für ein rasantes Erzähltempo. Während mich die nur 200 Seiten des Romans anfangs irritierten, war mir nach den ersten Kapiteln klar: Conny Amreich jagt so durch die Geschichte, dass sie keine weiteren Seiten brauchen wird. Mit der Zeit gewöhnte ich mich an den Erzählstil und nutzte den mitreißenden Lesefluss, um das Buch in nur einem Zug zu verschlingen. Nichtsdestotrotz hätte ich mir mehr Zeit, mehr Seiten für die Geschichte gewünscht, um die Charakter noch besser kennenzulernen und der Atmosphäre die Chance zu geben, sich stärker zu entfalten.

*Fazit:*
„Belle – Der Fluch von Balmoral Castle“ von Conny Amreich ist eine gelungene Neuinterpretation des Märchens um die Schöne und das Biest. Die Autorin hat die altbekannte Geschichte in ihren Grundzügen nicht verändert, ihr aber mit einer gelungenen Mischung aus Recherche und Fiktion einen atmosphärischen neuen Anstrich gegeben. Die Handlung sowie die Figuren haben mir gut gefallen und konnten mich kurzweilig unterhalten, auch wenn sie aus ihrem typischen Schwarz-Weiß-Charakter niemals vollends ausbrechen konnten. Ich hätte der Geschichte gerne noch viele weitere Seiten gegönnt, um sich stärker entfalten zu können. Für „Belle – Der Fluch von Balmoral Castle“ vergebe ich etwas schwächelnde 4 Lurche.