Rezension

Eine Geschichte, die den Leser warm umspült und dann davonträgt

Was der Fluss erzählt
von Diane Setterfield

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ein Buch, das den Alltag vergessen macht. Schmökern, träumen und dahintreiben garantiert.

Das Gebiet von Crickdale bis Oxford entlang der Themse im späten 19. Jahrhundert. Die Menschen leben mit dem Fluss und vom Fluss. Er bestimmt ihren Alltag, ihren Aberglauben und ihre Geschichten.

In der Wirtsstube des Swans treffen sich die Menschen nach getaner Arbeit und lieben es, in Geschichten zu schwelgen, sie verweben die losen Enden der Ereignisse zu ihren eigenen Erzählungen und feilen solange daran, bis Wahrheit und Erzählung eine Einheit bilden.

Plötzlich stolpert ein schwerverletzter Mann herein, in seinem Armen ein lebloses kleines Mädchen. Die eilig herbeigerufene Krankenschwester kann nur noch den Tod des Kindes feststellen. Stunden später bemerkt sie, dass das Mädchen wieder atmet. Ein Wunder? Zauberei? Es gibt keine wissenschaftliche Erklärung. Niemand weiß, woher das Mädchen gekommen ist. Und doch melden am nächsten Morgen drei Parteien Ansprüche an. Eine Spurensuche beginnt und allerhand versunkene Geheimnisse treten ans Licht. Die Identität des Mädchens und ihre Geschichte scheinen untrennbar mit dem Fluss verwoben.

Eine Geschichte, wie ein Feuer an trüben und ungemütliche Wintertage. Ihr warmer Erzählton nimmt mich gefangen und führt mich unter die Menschen am Fluss. Ich versinke so tief, dass der Alltag völlig verblasst. Ich fühle die Feuchtigkeit des Flusses, rieche die Armut mancher Häuser und sehe die Sorgenfalten der Menschen. Die Geschichte folgt keinem gradlinigen Plot, sie folgt dem Verlauf des Flusses, sie führt in Nebenarme, Sümpfe und Stromschnellen, bringt Überschwemmungen und wiegt glitzernd im Sonnenlicht. Sie erzählt von den Menschen, die dort leben, ihren Familien, ihren Sehnsüchten und ihren Geheimnissen.

Den Figuren wird mit so viel Liebe und Umsicht Leben eingehaucht, dass ich nicht anders kann, als sie zu mögen und mit ihnen zu bangen. Die Geheimnisse um die Identität des kleinen Mädchens scheinen lange Zeit unlösbar, die gestellten Ansprüche unhaltbar. Und doch spült der Fluss Schicht um Schicht fort, bis die Wahrheit ans Tageslicht kommt. Wahrheit oder doch ein Mythos des Flusses? – wer weiß das am Ende schon. Eine ganz besondere Geschichte, die mir noch lange im Gedächtnis bleibt.