Rezension

Eine Geschichte, die im Kopf bleibt

Was wir nie verzeihen -

Was wir nie verzeihen
von Arttu Tuominen

Bewertet mit 5 Sternen

Jari Paloviita, Kommissar in Finnland, wird mitten in der Nacht zu einem Einsatz gerufen. In einem Pflegeheim wurde der 93-jährige Albert Kangasharju bei seinem Spaziergang überfallen und lebensbedrohlich verletzt. Paloviita fährt zum Krankenhaus, um zu warten, dass der alte Mann wieder aus dem Koma erwacht, dabei kann er einen weiteren Mordanschlag auf den Mann verhindern. Was hat dieser alte Mann nur getan, um gleich zweimal einem Angriff ausgesetzt zu sein? Kurze Zeit später kommt es zu einem Mord an Klaus Halminen, der nicht nur ein Invalide im Rollstuhl war, sondern sich im Alter Kangasharjus befand. Beim Durchsuchen des Hauses Halminens finden die Ermittler eine Uniform der SS. Kann es sein, dass die beiden alten Männer tatsächlich an der Seite der Deutschen im zweiten Weltkrieg gekämpft haben?
Der Klappentext des Buches machte mich neugierig, denn gerade Bücher, deren Ausgangspunkte im zweiten Weltkrieg zu finden sind, versprechen immer Spannung. Gleich vorweg, Arttu Tuominen hat mich mit diesem Buch nicht nur überzeugt, sondern auch absolut fesseln, schockieren und berühren können. Für mich ist Was wir nie verzeihen ein Buch, das sich tief in mein Gedächtnis gebrannt hat. Bei diesem Buch handelt es sich übrigens um den dritten Band einer Krimireihe, was ich aber erst beim Lesen merkte. Verständnisprobleme gab es für mich hier allerdings keine, zwar gibt es immer Mal kleine Auszüge aus dem privaten Leben der Ermittler, diese bleiben aber im Hintergrund, wirken aber absolut, um diese authentischer und glaubhafter zu machen, da es sie einfach auch menschlich macht.
Die Geschichte beginnt gleich mit dem Überfall auf Albert Kangasharju und konnte mich dadurch sofort in ihren Bann ziehen. Tuominen schreibt unheimlich fesselnd und direkt, so dass er bei seinem Leser umgehend ein Kopfkino erzeugt. Ich mochte dieses bildhafte und doch sehr eindringliche seiner Erzählung, da ich mich so noch ein wenig mehr in die Geschichte versetzen konnte.
Erzählt wird die Geschichte auf zwei Zeitebenen, die Gegenwart mit den Überfällen auf Kangasharju und dem Mord an Halminen, aber auch in Rückblicken auf die Zeit des zweiten Weltkriegs. Dieser Part aus der Geschichte war mir persönlich völlig unbekannt, denn die Operation Wiking, von der Tuominen hier erzählt, beruht auf Tatsachen. Damals wurden finnische Soldaten in Deutschland ausgebildet und dann im Krieg in der Ukraine eingesetzt. Die Gräueltaten, die Tuominen hier beschreibt, trieben mir manches Mal Tränen in die Augen. Egal wie oft man das liest oder sieht, es macht mich immer wieder sprachlos, wie Menschen handeln können.
Die Geschichte hat zwar einen eher ruhigen Erzählton, bleibt aber durchweg spannend. Natürlich ahnt man, über wen er in den Rückblicken erzählt, aber das mit dem alten Albert Kangasharju in Verbindung setzen, fiel mir unglaublich schwer. Man verfolgt die Ermittlungen aus den Sichten der verschiedenen Kommissare, lernt dabei auch dessen Ansichten kennen und fühlt sich dadurch auch mit ihnen verbunden. Gerade auch den Zwiespalt Paloviitas konnte ich so unglaublich gut verstehen. Denn Arttu Tuominen lässt seine Charaktere lebendig werden.
Diese Charakterzeichnung macht den Krimi auch zu etwas besonderem für mich. Auch wenn das Privatleben der einzelnen Ermittler hier im Hintergrund bleibt, kann ich ihre Gefühle und Gedanken nachvollziehen. Aber meiner Meinung nach liegt das Hauptaugenmerk des Buches auf Albert Kangasharju, Ehemann, liebender Vater, Großvater und Urgroßvater, der neben seinem Bett ein Kinderbuch liegen hat. Die Geheimnisse, die er verbirgt sind unglaublich. Wie bereits erwähnt, fiel es mir so unglaublich schwer, diesen Mann mit dem Mann im Weltkrieg zu vereinen. Was mir aber, leider, dadurch extrem klar wurde, ist, dass selbst aus den liebsten Menschen Monster werden können. Es erklärt noch einmal eindringlich, wie all das damals geschehen konnte. Dieser Bereich hat mich nach dem Schließen des Buches lange da sitzen und nachdenken lassen und auch genau das lässt mich diese Geschichte auch nicht mehr vergessen.
Mit diesemBuch hat mich Arttu Tuominen zutiefst berührt und nachdenklich zurückgelassen. Auch jetzt beim Schreiben der Rezension versuche ich immer wieder, das Gelesene zu verarbeiten. Wer hier einen reinen Krimi erwartet, könnte vielleicht enttäuscht sein, aber für mich war dieses Buch so viel mehr als nur ein Spannungsroman. Tuominen hat mir ein wenig die Augen geöffnet, mir gezeigt, wie “so etwas” überhaupt möglich war, wie Hass und Wut entstehen kann, wie der Krieg und all sein Schrecken den Menschen beeinflussen. Ich hoffe, hiermit nicht zu viel verraten zu haben, aber es ist recht schwer, die Gefühle zu diesem Buch zum Ausdruck zu bringen, ohne auf diesen besonderen Charakter einzugehen. Ich kann das Buch absolut empfehlen, denn es ist eine Geschichte, die sich tief in den Kopf gräbt und sprachlos macht. Hut ab, Herr Tuominen, das war ganz großes Kino!