Rezension

Eine problematische Liebesgeschichte im faschistischen Italien

Aus ihrer Sicht -

Aus ihrer Sicht
von Alba de Céspedes

Bewertet mit 2 Sternen

Die Seelenqualen und Eheprobleme einer jungen Frau – von wegen Politisierung oder Emanzipation, langweilig, 300 Seiten zu viel

Die ersten Sätze fand ich noch interessant: 'Ich begegnete Francesco Minelli zum ersten Mal am … 1941 in Rom' (9), aber dann kommt dieser Mann Hunderte von Seiten nicht mehr vor. Statt dessen wird in epischer Breite, in für mich langweiliger Ausführlichkeit die Kindheit und Jugend von Alessandra ausgebreitet, was sie geprägt und beeinflusst hat: die Probleme der Mutter, der frauenfeindliche, tyrannische Vater, die Freundin. Da wäre weniger mehr gewesen. Vor allem hatte ich den Eindruck, dass immer das Gleiche noch einmal geschildert wurde.

Kapiteleinteilungen gibt es im ganzen Buch von 614 Seiten nicht, wohl aber Einschnitte, z.B. nach dem Tod der Mutter. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt, der mir im Buch am besten gefallen hat: Alessandra wird zu den Verwandten des Vaters in die ländlichen, ärmlichen Abruzzen geschickt, trifft dort auf Onkel und Tanten, die alle im großen Gutshaus leben und wo erstaunlicherweise eine Frau das Sagen hat: die ehrwürdige Großmutter, die Padronin. Sie hat ihre festgefügten Ansichten, wie eine Frau zu leben hat.

'Frauen müssen ein Leben führen, das ihrem Wesen und ihrer Natur, ihren Gefühlen und ihren Impulsen entgegensteht. Deshalb müssen sie sehr stark sein.' (209)

Alles, was sie zum Frauen-Männer-Thema sagt, klingt durchaus klug, ist aber ein herkömmliches, archaisch anmutendes Frauenbild, dem Alessandra nicht entsprechen kann und will. Sie hat ihre eigenen Ansichten – womit sie natürlich aneckt – und setzt durch, dass sie ihr Examen machen darf, weil sie später studieren will. Die Großmutter mag sie, erkennt aber, dass das Leben in den Abruzzen nichts für Alessandra ist und lässt sie zurück nach Rom gehen, zum Vater, der inzwischen fast blind ist und Hilfe braucht.

Und jetzt fängt Alessandra an, mich richtig zu nerven. Wirkte sie in den Abruzzen noch selbstbewusst und ein bisschen rebellisch, so ordnet sie sich nun komplett dem gängigen Frauenbild unter. Sie führt ihrem Vater den Haushalt und lässt sich von ihm tyrannisieren. Dazu hat sie einen Bürojob und studiert nebenbei.

'Da wurde mir klar, dass nur Männer Stärke und Sicherheit besaßen.' (270) - 'Fast alle Frauen verrichteten zu Hause die Arbeit eines Dienstmädchens...' (446). Mal nebenbei bemerkt, was für eine verächtliche Einstellung den Dienstmädchen gegenüber, auch die von Frauen vertreten!

Und endlich kommt der anfangs erwähnte Francesco ins Spiel, ca. 10 Jahre älter, Dozent für Rechtsphilosophie und Antifaschist, der in der Widerstandsbewegung aktiv ist und unter Polizeibeobachtung steht. Sie verlieben sich, heiraten, aber Alessandra kommt mit der Eintönigkeit und der Routine des Ehelebens nicht zurecht. Sie vermisst die anregenden Gespräche, die Verliebtheit der ersten Zeit und hat den Eindruck, dass Francesco ihr nie zuhört. Da alles aus ihrer Sicht geschildert wird, kann ich nicht beurteilen, inwieweit sie Recht mit ihren Eindrücken hat.

Francesco hat wegen seines Engagements große Probleme, muss sich verstecken, wird verhaftet und als er zurück kommt und natürlich weiterhin in der Resistenzia aktiv ist, hat sie nur im Kopf, mit ihm 'in den Park zu gehen' (574). Da kann ich nur sagen: armer Francesco!

Wie es weiter geht, wie es endet, soll wie immer nicht verraten werden, denn ein ganz klein wenig Spannung soll für eventuelle Leser erhalten bleiben.

Allerdings kann ich dieses Buch aus folgenden Gründen nicht empfehlen:

Es ist langweilig:

Es ist zu redundant. Die immer wieder gleichen Szenen und Probleme wiederholen sich. Ohne Rezensionsverpflichtung hätte ich vorzeitig abgebrochen.

Männer- und Frauenbild:

Ständig wird den Männern vorgeworfen, dass sie die Frauen ausnutzen und auf KKK reduzieren: Kinder, Küche, Kirche. - 'Männer und ihr tyrannisches, egoistisches System' (30). Das mag in Teilen stimmen, aber das verächtliche Bild, das hier von Männern gezeichnet wird, gefällt mir ebenso wenig. De Céspedes lässt kaum ein gutes Haar an ihnen: 'Die Männer sind alle gleich. Männer bringen nur Unglück' (161) und weitere derartige Verallgemeinerungen.

'Sie (die Männer) glaubten, die Liebe sei für ihre Lebensgefährtinnen nur ein kurzes Märchen gewesen, ein leichtes Hochgefühl, das nötig war, um Hausfrau und Mutter zu werden und dann ihr ganzes Leben dem Einkaufen und der Küche zu widmen.' (109)

Der Klappentext weckt falsche Erwartungen

Er suggeriert, dass sich Alessandra in den Abruzzen 'politisiert', aber das stimmt nicht. Sie setzt zwar für sich durch, dass sie ihre Examen in der Schule machen darf, aber politische Aktionen ihrerseits kommen erst nach 500! Seiten vor, als sie kurz für den Widerstand tätig ist. Aber auch das hat keinen politischen Hintergrund, sondern sie tut es nur wegen und gegen Francesco, der sie zu ihrer eigenen Sicherheit in die Abruzzen hatte schicken wollen. Von Politisierung kann also auch hier keine Rede sein. Da frage ich mich, ob der/die VerfasserIn des Klappentextes das Buch überhaupt gelesen hat.

'...dass ich das alles getan hatte, um auch die Seite von ihm kennenzulernen, unter der ich litt...' (561) – 'Das war meine Art, mit dir zu sprechen, dich zu erreichen.' (567)

Fazit: leider keine Lese-Empfehlung