Rezension

Nicht mehr zeitgemäß

Aus ihrer Sicht -

Aus ihrer Sicht
von Alba de Céspedes

Bewertet mit 2 Sternen

Im Norddeutschen haben wir einen schönen Ausdruck: bräsig. 
Bräsig heißt „schwerfällig“, „ohne Schwung“, oder auch „altmodisch, nicht mehr zeitgemäß“. 
Und so leid es mir tut, genauso würde ich den Roman „Aus ihrer Sicht“ von Alba De Cespedes beschreiben. 
Ich begrüße es sehr, dass es in den letzten Jahren gelungen ist, viele Schriftstellerinnen, die ihrer Zeit voraus waren und sich mit ihren Werken feministische Sporen verdient haben, wieder zu entdecken. 
Allen Verlagen sei Dank, dass sie das Unterfangen, Autorinnen dem Vergessen zu entreißen, bewerkstelligt haben. Besonders beeindruckend sind in diesem Zusammenhang u. A. die Werke von Tove Ditlevsen und Albertine Sarrazin. 
Alba De Cespedes und ihr Roman „Aus ihrer Sicht“ gehören leider für mich nicht zu diesen Highlights, da ihr Ansatz nur vordergründig feministisch ist. 
Alessandra, die Protagonistin des Romans, lebt 1939 mit ihren Eltern, die eine unglückliche Ehe führen, in einem Mietshaus in Rom. 
Die Mutter, eine feingeistige Pianistin, geht in der Kunst und der schwärmerisch- naiven Sehnsucht nach reiner Liebe auf. Ihr harscher Beamten- Ehemann schaut auf seine kapriziöse Frau und die gemeinsame Tochter herab, und erlaubt aus rein monetären Gründen, dass seine Ehefrau Klavierunterricht erteilt. 
Alessandra verehrt die Mutter und eignet sich deren überspanntes Leitbild von Leben und Liebe an. 
Nach dem Tod der Mutter wird Alessandra zur Großmutter in die Abruzzen geschickt. Dort trifft sie auf ein raues, archaisches Leben, welches noch weiter von ihrem Ideal entfernt ist, als das in Rom. Als sie zurück zum Vater geht, der inzwischen blind geworden ist und ihrer Hilfe bedarf, versucht sie, auf eigenen Beinen zu stehen, verliebt sich, heiratet, sucht aber weiterhin über die unglaubliche Länge von 600 Seiten ein Liebesglück, welches es nicht gibt. 
Anfangs konnte mich De Cespedes Erzählung noch fesseln und ich hatte die Hoffnung, einen Roman zu lesen, der, 1949 erschienen, ein fortschrittliches Frauenbild zeichnet. 
Aber spätestens mit Alessandras Übersiedlung in die Abruzzen, mit dem Auftritt der gestrengen Großmutter, die Seite um Seite ihr althergebrachtes Verständnis von Frau- Sein herunterbetet ( Kinder zu gebären, ist das einzige was zählt, das bindet den Mann an die Frau, es gibt der Frau die Macht im Haus…), möchte man als Leserin, dass Alessandra das Gehöft der Ahnen schimpfend verlässt. Zwar erkennt sie, dass sie niemals werden möchte, wie die Großmutter, fantasiert zu studieren, um dann aber sofort wieder an des Vaters Seite zu eilen und ihm den Haushalt zu führen. 
An jedem Wendepunkt ergibt sich die pseudo- feministische Heldin ihrem Schicksal und lässt sich vom Manne unterjochen. 
Ihre Rebellion findet im Schöngeiste statt. 
Mit ihrem Ehemann, den sie nach Hunderten von vor Redundanz strotzenden Seiten endlich findet, einem Philosophie - Dozenten, der auch im Widerstand tätig ist, denn mittlerweile hat der Zweite Weltkrieg begonnen, was der Autorin nicht mehr als eine Fußnote wert ist, wird sie bedauerlicherweise auch nicht glücklich. 
Und obwohl die Autorin selbst im Widerstand gegen den Faschismus tätig war, schafft sie es nicht, diese historische Seite gewinnbringend in ihren Roman zu integrieren, sondern lässt Alessandra nur beständig jammern, dass ihr Ehemann sie nicht mehr wahrnimmt. 
Zu diesem Zeitpunkt ist das Interesse am Romangeschehen längst erloschen und auch die dramatische Auflösung, warum Alessandra „aus ihrer Sicht“ diese Geschichte erzählt, kann einen nicht mehr überraschen. 
Zudem überzeugt De Cespedes Prosa nicht. Zu larmoyant und redundant kommt die Erzählung daher. 
Dieser Roman wurde von mir sehnsüchtig erwartet und lässt mich mehr als enttäuscht zurück