Rezension

Eine zerstörerische Mädchenfreundschaft

Marlena - Julie Buntin

Marlena
von Julie Buntin

Bewertet mit 3.5 Sternen

Catherine ist für die Öffentlichkeitsarbeit einer New Yorker Bibliothek zuständig und hat ein Alkoholproblem. Ihre Versuche, trocken zu werden und zu bleiben, waren immer wieder erfolglos. Als „Cat“ in einem Flashback ihre Jugendfreundin Marlena vor sich sieht und sich Sal, Marlenas jüngerer Bruder, überraschend bei ihr meldet, konfrontiert sie das wieder mit Marlenas frühem Tod. Auf zwei Zeitebenen, in der Gegenwart in New York und 20 Jahre früher in einer Kleinstadt am Michigan-See entsteht ein Bild der obsessiven Freundschaft zweier ungezähmter Mädchen, von denen eins zu dem Zeitpunkt nur noch wenige Monate zu leben hatte.

Als Cats Mutter nach ihrer Scheidung mit ihren Kindern nach Silver Lake zieht, hat sie keine Illusionen über Romantik am See. Sie sucht ein möglichst preiswertes Haus, einen Job und sie rechnet damit, dass in der Provinz die Lebenshaltungskosten niedrig sein werden. Cats Bruder James hat seine Studienpläne aufgegeben, um in der Fabrik zu arbeiten und sich an der Miete zu beteiligen. Die einfachen Häuser in der Straße zeugen alle vom Abstieg ihrer Bewohner. Marlena wohnt mit Vater und Bruder in einer fliederfarben gestrichenen Scheune. Zum melancholischen Soundtrack von Jonie Mitchells Songs entfaltet sich eine enge Mädchenfreundschaft, die direkt in Alkohol-, Drogen- und Medikamentenmissbrauch führt und mit Marlenas Tod endet, von dem Cat und ihr Bruder Jimmy lange nicht glauben wollen, dass er ein Unfall gewesen sein soll. Als 15-jährige Provinzgöre wusste Cat noch nicht, dass in den USA viele Jugendliche so leben wie sie und Marlena - u. a. durch den laxen Umgang mit Psychopharmaka.

Der Handlungsstrang in New York spielt Anfang des 2. Jahrtausends, die Szenen am Silverlake Anfang der 80er Jahre. Mit einigen Längen entwickeln sich vor den Augen des Lesers Cats und Marlenas vereinnahmende Beziehung. Marlenas Vater stellt in einer Hütte im Wald synthetische Drogen her, der kleine Sal ist sich selbst überlassen, wenn sich nicht gerade die Mädels um ihn kümmern. Cat ist damals noch nicht einmal 15. Sie bedient sich forsch aus den Alkohol- und Zigarettenvorräten ihrer Mutter und kann lange verbergen, dass sie die Schule schwänzt. Auch wenn Cat als Teenager damals hauptsächlich mit ihren Pubertätsproblemen beschäftigt war, muss sie sich mit Mitte 30 fragen, wann sie sich durch ihr Schweigen zur Komplizin machte und bis zu welchem Punkt eine Umkehr möglich gewesen wäre. Cat zeigt sich dabei als unzuverlässige Erzählerin. Wie in ihrer Beziehung zu Marlena passt sie sich an, will gefallen und muss Gesagtes wieder zurücknehmen.

Fazit
Julie Buntin entfaltet die depressive Stimmung einer Pubertät in der amerikanischen Provinz in stimmungsvollen Szenen, verstärkt noch durch melancholische Songtexte. Sehr anrührend und eindringlich fand ich Cats Erkenntnis in einer dramatischen Situation, dass sie im Vergleich zu Marlena wenigstens eine Mutter hat, die im Notfall für beide Mädchen da sein würde. Der minutiös geschilderte Alkohol- und Psychopharmaka-Konsum der Jugendlichen war mir streckenweise zu viel, weil mir früh im Text schon klar war, was da läuft. Da es sich um Rückblicke der erwachsenen Cat handelt, müssen diese Szenen vermutlich akzeptiert werden als Cats persönlicher Stil die Vergangenheit zu verarbeiten.

Cat wollte ein böses Mädchen sein und Marlena damit unbedingt gefallen - Julie Buntin hat daraus einen beeindruckenden Erstlingsroman geschaffen, dessen Buchcover die Brisanz der Handlung eher verbirgt.