Rezension

Marlena

Marlena - Julie Buntin

Marlena
von Julie Buntin

Bewertet mit 5 Sternen

Sal hat sich gemeldet und katapultiert Cat zurück in ihre Zeit in Silver Lake, Michigan, wohin ihre Mutter sie und den Bruder Jimmy nach der Trennung vom Vater zwangsverpflanz hatte. In Marlena hat Cat direkt eine neue Freundin gefunden. Das Nachbarsmädchen war zwei Jahre älter und all das, was Cat gerne gewesen wäre: hübsch, von Jungs bewundert, mutig, selbstbewusst. Doch bald schon kommt Cat hinter Marlenas Geheimnis: es sind Drogen, die sie am Leben halten und sie so erscheinen lassen, wie sie ist. Drogen, die bereits ihre Mutter zerstört hatten und die auch die Einnahmequelle ihres Vaters und ihres Freundes sind. Aus der schüchternen und strebsamen Cat wird in Silver Lake ein neuer Mensch: sie schwänzt die Schule, trinkt zu viel und versucht Marlena immer ähnlicher zu werden. Eine gefährliche Spirale abwärts, die für Marlena im Unglück enden wird.

 

Julie Buntins Debutroman hat es bereits auf die Longlist des First Novel Prize 2017 der US-amerikanischen nonprofit Organisation Center for Fiction geschafft, die New York Times hat sie gar mit Elena Ferrante, einer der global erfolgreichsten Autorinnen der vergangenen Jahre, verglichen. Warum ist recht leicht zu erkennen: wie die zwei Pole eines Magneten ziehen sich die beiden konträren Charaktere von Marlena und Cat geradezu magisch an. Zwei unterschiedliche Mädchen, die schicksalhaft durch ihre Nachbarschaft zusammengebracht werden und gemeinsam ins Verderben rennen. Schon früh weiß man, dass Marlena jung sterben wird, aber ist Cats Überleben tatsächlich das größere Glück?

„Manchmal leide ich unter meinem Leben, allein weil es meins ist, weil es diesen Lauf genommen hat und keinen anderen, weil ich nicht in die Vergangenheit zurückreisen kann, um die Zukunft zu ändern. Um zu verhindern, was ihr zugestoßen ist.

Cat leidet unter dem, was sie erlebt hat und nicht verhindern konnte, obwohl ihr bewusst war, wie abhängig Marlena war und weil sie Schuld daran trägt, was an dem schicksalhaften Tag im November und auch schon in den Woche zuvor passiert war. Mit dieser Schuld muss sie leben und diese verbirgt sie in New York vor ihrem neuen Leben und ihrem Freund.

„Wahrscheinlich habe ich mich schuldig gefühlt. Ich hatte hundert Gelegenheiten, sie aufzuhalten. Mehr als hundert. Ich tauschte Silver Lake und eine Form der Realitätsflucht gegen eine andere ein. Das schlechte Gewissen der Überlebenden quälte mich, es bestimmte mein Leben“

 

Die Autorin verleiht ihrer Erzählerin eine starke Stimme und diese kann sowohl die Gefühlswelt der 15-jährigen versetzen, der die Empathie noch fehlt, um sich die Lage der eigenen Mutter oder des Vaters zu begreifen, wie auch in die erwachsene Cat, die ein vorgeblich bürgerliches Leben als Bibliothekarin führt und doch ihre Süchte kaum unter Kontrolle hat und die 15-Jährige, die sie einmal war, nicht ganz aufgeben kann und will. Diese ausdrucksstarke, intensive Erinnerung an die Zeit, die sie doch meist im Rausch gar nicht wahrgenommen hat, überträgt sie gekonnt auf den Leser, dem die lebenszerstörende Verbindung zwischen den Mädchen nicht kalt lassen kann.