Rezension

Eines meiner Lese-Highlights 2014

Aufstieg und Fall großer Mächte - Tom Rachman

Aufstieg und Fall großer Mächte
von Tom Rachman

Bewertet mit 5 Sternen

Beeindruckend, aufrüttelnd, "anders"!

Dieses Buch war eine absolute Überraschung für mich!

Inhaltlich, strukturell und von den Gefühlen her, die es in mir ausgelöst hat.

Es ist etwas Besonderes und wird bestimmt nicht jeden begeistern, mich aber hat es begeistert. Es bietet eine starke und inspirierende Geschichte, regt zum Nachdenken an

und arbeitet mit wohl gesetzter, gekonnter Sprache.

Die Hauptfigur ist Tooly, Kurzform für Mathilda, die in Wales einen kleinen, urigen Buchladen betreibt. Man kommt schnell dahinter, dass sie nicht die typische Protagonistin eines typischen Buches ist.

Tooly ist ruhelos, bleibt eigentlich nie lange an einem Ort, die Buchhandlung ist die längste Station in ihrem Leben. Sie kann nicht gut mit anderen Menschen umgehen und obwohl sie nett ist, intelligente Gespräche führen kann und den Menschen neugierig zugetan ist, hat sie Probleme mit Empathie, Zuverlässigkeit und kann kaum eine ehrliche, tiefe Beziehung zu einem anderen Menschen aufbauen. Je mehr man im Verlaufe des Buches über sie erfährt, um so deutlicher wird, warum sie so ist und dass sie nicht nur ruhe- sondern gar wurzellos ist.

Das mag schwermütig klingen, ist aber von Beginn an kurzweilig zu lesen, ungewöhnlich, anregend, aufwühlend, intellektuell stimulierend und extrem unterhaltsam. So kommt man mit Tooly gemeisam mehr und mehr in Verbindung mit ihrer Vergangenheit und begibt sich auf Spurensuche. Mich hat diese besondere Stimmung von Beginn an begeistert und gefesselt.

Das Buch ist in drei Zeitzonen aufgeteilt. In einer ist Tooly noch ein kleines Mädchen, dass zuerst mit ihrem alleinerziehenden Vater durch die Weltgeschichte tingelt, nie lange an einem Ort bleibt, fast jährlich umzieht und oft auf sich gestellt ist. Später wird sie von ihrem Vater getrennt und wächst fortan bei Sarah, der Frau die sagt, sie sei ihre Mutter und verschiedenen erwachsenen Bekannten auf, deren einzige wirklich Konstante Humphrey ist. Sarah ist mal da, mal nicht, die Unzuverlässigkeit in Person, egozentrisch, sprunghaft, anstrengend und verhält sich alles andere als mütterlich. Natürlich wird hier bewusst mit den Erwartungen des Lesers gespielt, ob Sarah wirklich die leibliche Mutter ist und in welcher Beziehung sie zu den anderen Mitgliedern des Kreises steht.

 

In der mittleren Zeitzone lebt Tooly als mittlerweile knapp 20 jährige in New York, lässt sich auf ihre erste längere Beziehung zu einem Mann ein, dem Studenten Duncan. Sie hält sich die meiste Zeit in dessen WG auf, obwohl sie eigentlich noch mit Humphrey in Brooklyn wohnt. Dort lernt sie andere junge Leute kennen, allesamt Studenten und wird mit ihren Ideen, Wertvorstellungen und Lebenszielen konfrontiert. Dies reißt sie erstmals aus ihrer Gewohnheit und sie beginnt, über sich und ihr Leben nachzudenken.

Die letzte Zeitzone ist n den Jahren 1999/2000 verortet, wo Tooly als Erwachsene in Wales lebt, sich dann aber auf Spurensuche in ihre Vergangenheit begibt und endlich Antwort auf so viele, viele Fragen möchte. Zum Beispiel den Grund für ihr rastloses Wanderleben in ihrer Kindheit und die verkorkste Beziehung zu ihren Eltern. Nachdem sie wieder Kontakt zu ihrem Jugendfreund Duncan hat und von ihm erfährt, dass es mit dem mittlerweile sehr alten Humphrey zu Ende geht, reist sie nach New York.

Die drei Zeitebenen kommen im Verlauf des Romans immer abwechselnd vor, so dass man während des Lesens auch abwechselnd mit den unterschiedlichen Lebensaltern der Protagonistin und den jeweiligen Situationen und Problemen konfrontiert wird. Ich fand diesen Stil sehr abwechslungsreich und gekonnt umgesetzt. Auch werden dadurch die Fragen, die sich gleich massenhaft anhäufen, dadurch noch drängender, denn sie bleiben über Jahre unbeantwortet und erst ganz am Schluss kommt langsam Licht ins Dunkel.

Ich habe festgestellt, dass diesem Buch Pausen nicht gut tun, in dem Sinne, dass die Lektüre weniger erfreulich war, wenn ich jeden Tag nur 15 Seiten las und lesefreie Tage dazwischen waren. Der besondere Zauber der Geschichte und der Sog, der mich gepackt hat, konnte sich nur entwickeln, wenn man längere Passagen am Stück las. Gibt man dem Buch entsprechenden Raum, so zeigt es, dass es etwas ganz Besonderes ist! Sprachlich, dramaturgisch und inhaltlich greift dann alles ineinander!

Gibt man sich diesem Leseerlebnis ganz hin, so bekommt man das Gefühl, als würde man gerade einen Schatz ausgraben!

Wie bei so manchem Buch ist auch hier das Ende, die Auflösung all der Verstrickungen ausschlaggebend dafür, wie man das Buch letztlich findet. Für mich finden alle offenen Fäden letztendlich ihr Gegenstück, findet sich alles so zusammen, dass ich befriedigt das Buch schließen konnte.

Hier liegt ein absolutes Ausnahmebuch, das stilistisch ungewöhnlich ist, eine ungewöhnliche Geschichte bietet und die gängigen Leseerwartungen immer wieder über Bord werfen kann und damit gekonnt spielt. Die Dialoge waren fast durchgehend ungewöhnlich und oft herausfordernd.

Als Leser reibt man sich an den Charakteren, arbeitet sich manchmal regelrecht an ihnen ab. Es gibt nicht eine einzige Figur, die des Lesers Symphatie von Anfang an herausfordert oder zwingend nötig macht. Dieses Buch bietet ungewöhnliche Begegnungen mit den Romanfiguren, die Auseinandersetzung mit diesen entwurzelten Menschen, zwischen Suche, dem Wunsch nach dem anders sein und einer schrägen Routine und Stagnation bietet reizvolle Spannungspunkte. Einfache schwarz-weiß-Zeichung von Handlung oder Charakteren wird man hier vergebens suchen und ebendies macht für mich die besondere Qualität des Buches aus!

Das Buch ist eine Herausforderung und es reizt mich, es eines Tages erneut zu lesen!