Rezension

Einfach richtig richtig gut

Viktor -

Viktor
von Judith Fanto

Bewertet mit 5 Sternen

Man kann sich in Viktor schon richtig verlieben. Ein wahres Schlitzohr aber wenn es drauf ankommt, kann man sich mehr auf ihn verlassen, als man denken würde. 
Judith Fanto konnte mich mit ihrem Roman sehr begeistern. Es passiert selten, das mir ein Geschichte mit zwei Zeitebenen in beiden Erzählsträngen gleich gut gefällt. Hier war das aber die ganze Zeit der Fall. 
Was bedeutet es als Nachfahr*in jüdischer Überlebender der Shoa auf zu wachsen, wie prägt dass das Leben der Enkelgeneration? Wie lässt sich eine eigene Identität finden, wenn die Erinnerung an das Vergangene das eigene Leben so stark durchdrungen hat?
Die Autorin, selbst ein Teil dieser Enkelgeneration spürt diesen Fragen nach und so zeichnet der Roman nicht nur das Leben von Judiths Familie nach, sondern zeigt auch die Komplexität dahinter auf.. 
In Judiths Familie wird das Thema Shoa (Holocaust) nur angedeutet, oder wenn überhaupt, erzählt der Großvater eine lustige Anekdote, sodass im ersten Moment der Eindruck entstehen könnte, das die Flucht und das Untertauchen ein großes Abenteuer gewesen seien. Doch gerade dadurch versteht man die ganze Tragweite erst so richtig. Die Familie hat ihre Bewältigungsstrategie gefunden um zu überleben und nach 1945 weiter mit dem Erlebten umgehen zu können. Gleichzeitig versteht man aber auch Judiths Beweggründe, sich mit dem Schweigen und Aussparungen nicht zufrieden geben zu wollen. Sie möchte verstehen, was sie selbst ausmacht. Fragt sich, wer sie eigentlich ist. Fragt sich auch, wer Viktor eigentlich war. 

Zeitweise habe ich schallend gelacht. Viktor ist ein ganz schönes Schlitzohr, der so einiges auf dem Kerbholz hat. Aber er schafft immer wieder sich heraus zu winden und heraus zu reden. Der Autorin gelingt es, ihm Tiefe zu verleihen, aber ihn nicht zu überhöhen. Nicht nur er, auch die anderen Figuren wirken so lebendig und glaubwürdig gezeichnet, das ich das Gefühl hatte mit ihnen am Tisch zu sitzen. Zum Teil mag das auch daran liegen, das ich weiß, das Fanto hier auch ihre eigene Familiengeschichte mit verarbeitet hat. Aber eigentlich lag es vor allem am großartigen Erzählstil der Autorin. 

Dazu kommen auch innerjüdische Debatten, die man vielleicht als Außenstehender gar nicht kennt, einfach weil sie nicht nach außen dringen. 
Meiner Meinung nach ist es Fanto sehr gut gelungen einzufangen, in welchem Spannungsfeld sich Shoaüberlebende und ihre Nachkommen bewegen. Das Trauma jeder einzelnen Familie ist eine eigene Geschichte und hat sich auch überall sehr individuell auf die nächsten Generationen übertragen. 
Auch davon handelt der Roman. Von Judith und ihrer Suche, wie sie mit der Vergangenheit ihrer Familie umgehen möchte. In dem sie Zugang zu Viktors Geschichte bekommt und das Schweigen in ihrer Familie brechen kann, findet sie einen neuen Zugang zu sich und ihrer jüdischen Identität - ja sogar überhaupt erst das sie eine jüdische Identität hat.. 
Ja Viktor ist eine Familiengeschichte über die Shoa (Holocaust), aber auch über das weiter Leben danach. Das Ringen mit den Erlebnissen, aber auch mit den Auswirkungen die bis heute in den Familien Überlebender spürbar sind.