Rezension

Emotionale Geschichte, bei der der Funken leider nicht ganz übergesprungen ist

Man flucht viel mehr, wenn man tot ist -

Man flucht viel mehr, wenn man tot ist
von Heike Bicher-Seidel

Bewertet mit 3.5 Sternen

Die 24-jährige Ivy wird nach einem schweren Unfall von jetzt auf gleich aus dem Leben gerissen und fällt für ein halbes Jahr ins Koma. Als sie dann wieder aufwacht, ist sie körperlich sehr eingeschränkt und hilflos. Dazu kommt, dass neben ihrem Verlobten noch der Künstler Jarik bei ihr auftaucht und behauptet, dass sie sich kennen und lieben, doch Ivy weiß nicht, woher sie ihn kennen sollte. Der Leser begleitet sie bei ihrem Kampf zurück zu einem selbstbestimmten Leben, bei dem ihr klar wird, dass nicht jeder ihrer Bekannten und Freunde so ist, wie sie ihr glaubhaft machen wollen.

 

Der Titel dieses Buches ist sehr ansprechend und wird im Laufe der Geschichte mehrfach aufgegriffen, was dafür sorgt, dass er treffend gewählt ist und einen guten Bezug zum Inhalt aufweist.

Die Protagonistin Ivy, aus deren Sicht die Geschichte in der Ich-Form erzählt wird, wirkt sympathisch. Sie ist jedoch so von den Einflüssen ihrer Umwelt geformt worden, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellt und sich dem Willen anderer beugt. Es ist schön, im Verlauf eine Entwicklung ihres Verhaltens und ihres Charakters beobachten zu können. Ivy wird gut beschrieben und wirkt somit für den Leser greifbar.

Andere Charaktere können mit gemischten Gefühlen betrachtet werden. Einige zeigen im Laufe der Geschichte ihr wahres Gesicht und werden immer unsympathischer, andere hingegen wirken freundlich und versuchen Ivy so gut es geht zu unterstützen. Von ein paar Figuren wäre es jedoch wünschenswert gewesen, dass sie häufiger in der Geschichte auftauchen, bzw. deren Gefühlsleben ein wenig mehr beleuchtet würde. Insgesamt ist die Charakterausgestaltung jedoch gut und ansprechend gelungen.

Eine positive Wirkung haben die eingeschobenen Textstücke, bei denen der Leser bis zuletzt nicht eindeutig sagen kann, ob es sich um Träume oder um Erinnerungen von Ivy handelt. Durch diese erhält der Leser die Möglichkeit, eine ganz andere Ivy kennenzulernen und zu sehen, wie lebensfroh und frei sie eigentlich sein kann. Zudem fördern diese Textstücke den Lesefluss, indem sie diesen auflockern. Insgesamt lässt sich dieses Buch gut lesen, ohne dass bei dem Leser Verständnisschwierigkeiten oder große Unklarheiten auftauchen. Die Kapitel sind kurz gehalten, was ebenfalls für ein angenehmes Lesegefühl sorgt. Die Kapitelüberschriften sind kreativ gestaltet worden, indem sie Ivy´s Namen mit diversen Stimmungen oder anderen kurzen Schlagwörtern verbinden. Dies unterscheidet sich von vielen anderen Büchern und hebt sich somit besonders ab.

In dieser Geschichte geht es um Übersinnliches bzw. Überweltliches, da Jarik behauptet, Ivy während ihres Komas als Geist kennengelernt zu haben. Dieses Element bildet jedoch, ebenso wie ein großer Handlungsverlauf, nicht den Schwerpunkt der Geschichte. Vielmehr stehen zwischenmenschliche Beziehungen und Themen wie Liebe, Vertrauen und die Psyche im Vordergrund. Nebenbei erhält der Leser Einblicke in einen Alltag, der aufgrund von körperlicher Hilflosigkeit von der Abhängigkeit von anderen Personen geprägt ist.

 

Die Geschichte an sich ist interessant und angenehm zu lesen. Die Idee und das Konzept sind gut, jedoch konnte mich das Buch nicht zu hundert Prozent überzeugen. Der Funke ist leider nicht komplett übergesprungen. Dieses Buch kann jedoch trotzdem gerne empfohlen werden, wenn eine kurze, unterhaltsame, humorvolle und emotionale Geschichte gesucht wird.