Rezension

Empfehlenswerter Generationenroman

Klara vergessen - Isabelle Autissier

Klara vergessen
von Isabelle Autissier

Bewertet mit 4.5 Sternen

Auf den Spuren der eigenen Familiengeschichte

„Diese Natur hingegen feierte das stetige Erwachen eines Lebens, das immer anders und doch unveränderlich war. Am Ende der Suche nach seiner Großmutter stand die Rückkehr zu ihm selbst.“

Inhalt

Juri Bondarew kehrt nach vielen Jahren in seine Heimat Russland zurück, um ein letztes Mal am Sterbebett seines Vaters zu stehen. Seiner Familie hat er schon in jungen Jahren den Rücken gekehrt, denn dort fand er weder Liebe noch Anerkennung.  Sein Vater Rubin war Kapitän eines Fischtrawlers und bedachte ihn mit Strenge, Züchtigungen, später nur noch mit Verachtung und seine Mutter Reva hat all das hingenommen, ohne sich jemals schützend vor ihren Sohn zustellen. 

Mittlerweile ist Juri erfolgreicher Ornithologe in Amerika, der sich seiner Vergangenheit nicht stellen möchte, weil er äußerst genau um ihre wunden Punkte weiß. Doch Rubin steht in seinen letzten Stunden ohnehin nicht der Sinn nach Versöhnung, vielmehr möchte er Juri für die Aufarbeitung der Familiengeschichte sensibilisieren, in deren Zentrum dessen Großmutter Klara stand. Jene Frau, die als erfolgreiche Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Geologie tätig war und in einer gewaltsamen Nacht- und Nebelaktion spurlos verschwand …

Meinung

Die französische Autorin Isabelle Autissier konnte mich bereits mit ihrem Roman „Herz auf Eis“ absolut begeistern, so dass ich „Klara vergessen“ mit einer entsprechend hohen Erwartungshaltung begonnen habe. Diesmal schildert sie aus drei Perspektiven heraus die Geschichte der russischen Familie Bondarew, die sich im totalitären System Stalins ebenso behaupten musste, wie in der Neuzeit. Damit ist ihr ein umfassender, beeindruckender Generationenroman gelungen, der einerseits die Auswirkungen der gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen auf das Leben Einzelner zeigt und andererseits die Versöhnung mit einer dramatisch, bedauernswerten Vergangenheit im Rahmen einer persönlichen Spurensuche. 

Die Erzählung besticht durch Vielfältigkeit, die sowohl politische als auch individuelle Entwicklungen in einen stimmigen Kontext setzt und sich letztlich mit dem Seelenfrieden und der Vergebung vergangener Entscheidungen beschäftigt. Darüber hinaus erzeugt sie durch einzigartige Naturbeschreibungen ein eisiges, unwirtliches Bild einer menschenverachtenden Umgebung, in der die Natur die Oberhand über Leben und Tod behält.

Fazit

Ich vergebe 4,5 sehr gute Lesesterne für diesen informativen, fesselnden Roman mit einem stimmungsvollen Hintergrund, der besonders für die russische Nachkriegsgeschichte begeistern kann und zudem authentisch, persönlich und betroffen wirkt, weil Emotionen oder deren Fehlen spürbar werden. Dennoch reicht meine Begeisterung nicht ganz an die ihres Vorgängerromans heran, was vielleicht am Gesamtkontext und der Stimmung selbst liegen mag, denn obwohl beide Bücher schriftstellerisch und sprachlich brilliant sind, bleibt hier nicht so viel Interpretationsspielraum, nachdem man die Lektüre beendet hat. Ein sehr empfehlenswertes Buch, dem ich gerne meine Lesezeit geschenkt habe und welches mehr bietet als bloße Unterhaltungswerte.