Rezension

Ergreifend

Zeit zu verzeihen -

Zeit zu verzeihen
von Hera Lind

Tragische Flüchtlingsschicksale

Im letzten Kriegsjahr 1945 beginnt für die im ostpreußischen Allenstein und Wartenberg lebenden Menschen die Flucht. Rosa kehrt mit ihren drei Söhnen, darunter Viktor, wieder in die Heimat zurück. Sie leben nun für lange Zeit in Polen. Barbara versucht mit ihrem Baby den letzten Zug in den Westen zu erreichen. Ein sowjetischer Offizier entreißt ihr das Kind und legt es in der Toilette des Bahnhofs ab. Das kleine Mädchen wird von Rosa und ihren Söhnen gefunden und von zwei Flüchtlingsfrauen später mitgenommen. Sie nennen das Kind Clara. Im Jahr 1965 lernen sich Clara und Viktor an der Ostsee kennen, nicht ahnend, dass sie sich vor vielen Jahren in einem Ort in Ostpreußen schon einmal begegnet sind. Die beiden jungen Menschen lernen sich näher kennen und lieben. Clara lebt in der DDR und Viktor in der BRD, zwischen den beiden liegt die Grenze. Sie riskieren eine abenteuerliche Flucht, allerdings wird Clara verraten. Sie ist bereits schwanger und wird in das berüchtigte Frauengefängnis Hoheneck eingewiesen. Unter entsetzlichen Umständen bringt sie dort ihren Sohn zur Welt, der ihr bald darauf weggenommen wird. Dank ihrer Liebe bleibt Clara standhaft und auch Viktor kämpft für sie und sein Kind.

Das Cover spiegelt Zerissenheit von Menschen inmitten einer idyllischen Gegend wider. Erneut ist Hera Lind ein ergreifender Roman gelungen, der auf wahren Begebenheiten beruht. Die Autorin spannt in ihrer Erzählung einen Bogen um die Geschehnisse im Kriegsjahr 1945, über das Regime in der DDR, bis hin zur Gegenwart. Tief ergriffen war ich von der Mutterliebe und Opferbereitschaft Rosas, die täglich 30 Kilometer gelaufen ist, um dem kleinen Viktor ein rohes Ei ins Krankenhaus zu bringen. Zu dieser Zeit gab es nicht viel und es hat dem Kind geholfen, zu überleben.
Im Jahr 1965 lebt Clara in der DDR und hat gerade eine Ausbildung als Krankenschwester abgeschlossen. Durch Zufall erfährt sie von ihrer leiblichen Mutter Barbara, die über Jahrzehnte in Sibirien Grauenhaftes durchgemacht hat und sich nun in einer psychiatrischen Einrichtung in der BRD befindet. Ich habe mit Barbara gefühlt, als sie nach der Gefangenschaft feststellen muss, dass ihr Mann eine neu Familie gegründet hat und ihre Tochter Clara für sie unerreichbar ist. Für Clara und Viktor kann es keine gemeinsame Zukunft geben, außer Clara flüchtet aus der DDR.
Als ich von Claras entsetzlicher Haft unter unmenschlichen Bedingungen, ihrer Schwangerschaft und Geburt gelesen habe, sind mir die Tränen gekommen und ich musste unterbrechen. Wie qualvoll muss es für eine Mutter sein, von ihrem Kind getrennt zu werden. Ich bewundere Clara für ihre Kraft an die Liebe zu glauben und nicht aufzugeben. Später besitzt Clara sogar die Größe, jenen zu verzeihen, die sie verraten haben. Hera Lind versteht es mitreißend zu erzählen und Emotionen zu wecken. Ich vergebe für diesen auf wahren Tatsachen beruhenden Roman fünf Sterne und spreche eine Leseempfehlung aus.