Rezension

Erinnerungen in Prosa

Die Fremde -

Die Fremde
von Claudia Durastanti

Claudia Durastanti hatte und hat scheinbar (dieses Wörtchen wird noch wichtig werden) kein einfaches Leben. Denn natürlich ist man geneigt die Ich-Erzählerin hier aufgrund der Parallelen mit der Autorin gleichzusetzen. Sie spielt mit ihren eigenen biografischen Elementen, um ihre Erinnerungen an eine belastende Kindheit sowie das Erwachsenwerden, Loslösen von den Eltern und eine Lebensform als eigenständige Person zu finden.

"Zu finden" deshalb, weil die Autorin mit den Genres und den Nerven der Lesenden spielt. Diese Lektüre kann vor allem zu Beginn anstrengend sein. Man muss erst hineinfinden in die Erzählstruktur Durastantis. Hier gibt es keine chronologischen Schilderungen des Erlebten - oder Erfundenen. Sie springt in ihren Gedanken vor und zurück, schiebt essayistische Parts ein, arbeitet mit Peosie und Prosa. Die Sprache und der Rhythmus an und für sich, haben mir sehr gut gefallen. Manchmal fast nüchtern erzählt sie von schlimmsten Ereignissen mit und Bedrohung durch die Eltern und bleibt somit auf Distanz zum Leser. Immer wieder eingestreut erscheinen sehr kluge Sätze, Metaphern, Überhöhungen, die unglaubliche Tiefe aufweisen und zum Nachdenken anregen. Leider verkommt dies zum Ende des Buches hin zu einem überdramatisierten, obergescheiten Geschwafel über Liebe und Beziehungen und endet in einem wirren Finale. Hier konnte ich der Autorin leider nicht mehr folgen. Sie bleibt zu großen Teilen "die Fremde".

Die Autorin scheint getrieben, erzählt (mitunter zu) dicht und wirr. Das muss man mögen. Eine interessante Metaebene macht die Autorin aber über das Buch hinweg immer wieder auf, indem sie immer wieder über Wahrheit/Wahrhaftigkeit und Lüge Überlegungen anstellt. Nie kann man sich als Leser*in sicher sein, was hier autobiografisch ist und was erfunden. Sie hinterfragt auch, was Autobiografien in der heutigen Zeit des Internets noch bedeuten. So schreibt sie an einer Stelle: "Eine Autobiografie [...] ist der Bastard unter den literarischen Genres. [...] Dann sind wir zum Ich zurückgekehrt, zu Veröffentlichungen in der ersten Person, doch uns in einer Autobiografie wichtigzumachen, erscheint vulgär, und unser Misstrauen gegenüber diesem Genre ist wieder erwacht, obwohl wir jeden Tag dazu beitragen, es zu stärken und zu einem kollektiven Phänomen zu machen." Ein Professor habe den Begirff "finction" gewählt, "um etwas zu bezeichnen, was nicht vorgetäuscht, sondern konstruiert ist." So ist auch dieses Buch: konstruiert. Durastanti bescheinigt an mehreren Stellen, dass sie schon immer Geschichten über sich selbst und ihr Leben erfunden habe. Wir bekommen einen "Roman" zu lesen. Diese Facette etwas mehr ausgeleuchtet, hätte mir in diesem Buch besser gefallen.

So bleibt es eine Erinnerungscollage auf hohem Niveau aber ohne wirkliches Ziel. Ich schwanke stark zwischen 3 und 4 Sternen und runde aufgrund der Sprache und der Sogkraft der Lektüre wohlwollend auf.