Rezension

Ein Roman, bei dem letztlich ich mich fremd fühlte...

Die Fremde -

Die Fremde
von Claudia Durastanti

Bewertet mit 2 Sternen

Ein Roman, bei dem letztlich ich mich fremd fühlte - ein anstrengend-anspruchsvoll-distanzierter Schreibstil, voller Metaphern und Bilder...

Claudia Durastanti erzählt in ihrem von der Kritik gefeierten Roman eine ganz besondere Familiengeschichte. Es ist ihre eigene. Beide Eltern sind gehörlos. In den sechziger Jahren sind sie nach New York ausgewandert. Claudia kommt in Brooklyn zur Welt und als kleines Mädchen zurück in ein abgelegenes Dorf in Italien. Mit Büchern bringt sie sich selbst die Sprache bei, die ihr die Eltern nicht geben können. Aus allen Facetten dieses Andersseins hat Claudia Durastanti einen außergewöhnlichen Roman gemacht. Von den euphorischen Geschichten einer wilden italoamerikanischen Familie in den Sechzigern bis ins gegenwärtige London. Dieser Roman lässt einen keine Zeile lang unberührt.

Bewusst stelle ich den Klappentext voran, damit deutlich wird, mit welchen Erwartungen ich in die Lektüre gestartet bin. Die (hörende) Tochter von gehörlosen Eltern schreibt von ihren Erlebnissen und Erfahrungen, beginnend in den sechziger Jahren. Erwartet habe ich daher eine besondere Familiengeschichte mit Einblicken in eine außergewöhnliche Situation – und welche Auswirkungen diese Kindheit auf das weitere Leben der Autorin hatte. In der Leserunde zum Roman erfuhr ich dann, dass es sich hierbei um eine sog. Autofiktion handelt, also um die Verbindung von einer Autobiografie mit fiktionalen Elementen. Auch das schreckte mich nicht ab, obschon meine letzte Begegnung mit diesem Genre (“Die Erfindung des Countdowns” von Daniel Mellem) mich eher enttäuschte.

Zu lesen bekam ich anfangs einen kaleidoskopartigen Einblick in eine Kindheit und Jugend, die, hm, jugendamtswürdig war, um es mal vorsichtig auszudrücken. Das hängt jedoch keinesfalls mit der Gehörlosigkeit der Eltern zusammen, da gab es durchaus ausreichend technisches Equipment, damit die Eltern beispielsweise wussten, wann das Baby schreit. Das hängt vielmehr mit dem Egoismus (der 'Freiheitsliebe') der Eltern zusammen, von denen jede_r nur um sich selbst kreiste, wobei zwischen den beiden auch noch ein überaus toxisches Verhältnis bestand. Die Kinder – die Autorin hat noch einen älteren Bruder - blieben oftmals sich selbst überlassen, es gab Gewalttätigkeiten unter den Eltern, gefolgt von Polizei und Gefängnis für den Vater. Diebstahl galt bei den Eltern als kokette Angewohnheit, das Brechen gesellschaftlicher Regeln als Grundsatz, es kam zu ständigen Umzügen. Das alles bietet verständlicherweise wenig Halt für ein Kind. Dazu kam eben noch die Sprachlosigkeit, geschuldet der Gehörlosigkeit der Eltern und ihrer Sturheit gegenüber dem Gebrauch der Gebärdensprache innerhalb der Familie.

Interessant fand ich, dass die Autorin gerade die Sprache als Mittel einsetzt, um sich mit ihrer Lebensgeschichte auseinanderzusetzen. Doch die Sprache hat es in sich – hier erwartet den Leser / die Leserin ein anspruchsvoller Schreibstil voller Schachtelsätze, Widersprüchlichkeiten und Metaphern, die für mich nicht immer leicht und teilweise auch gar nicht verständlich waren, dazu eine manchmal nur schwer nachvollziehbare Sprunghaftigkeit in der Darstellung, Widersprüchlichkeiten, die nicht aufgelöst werden, und zudem noch eine wohl bewusst gewählte Distanziertheit zum Geschehen... Anstrengend! Es entstand bei mir der Eindruck, je persönlicher die Inhalte wurden, die Betroffenheit angedeutet, desto sachlicher hielt die Autorin die Schilderung, die Art, auf die brisanten Themen einzugehen. Sie lässt persönliche Einblicke zu, toleriert aber keine emotionale Beteiligung des Lesers / der Leserin. Legitim, natürlich. Aber mich holte der Roman damit keinesfalls ab.

So wurde aus dem anfänglichen Sog, den der Roman trotz des anspruchsvollen Schreibstils und des wenig augenfreundlichen Drucks (sehr kleines Schriftbild ohne Absatz innerhalb eines Kapitels) auf mich ausübte, schließlich eher eine Pflichtübung. Immer wieder habe ich das Buch beiseite gelegt, die Seiten wollten gar nicht weniger werden, die Lesefreude blieb oft auf der Strecke, und wenn ich den Roman dann schließlich wieder zur Hand nahm, stellte ich nicht selten fest, dass ich nicht mehr wusste, wovon in dem Abschnitt davor die Rede war... Ist der Roman ein intellektuelles Abreagieren von Wut und Resignation, ein vor den Kopf stoßen wollen?

Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich bin einfach froh, das Buch beendet zu haben. Selten habe ich mich so durchquälen müssen durch einen 'Roman'. Ich persönlich konnte weder etwas aus dem Roman ziehen noch großartig etwas damit anfangen. Vieles blieb nebulös und im Stadium der Andeutung, anderes überlagert von Metaphern und Assoziationen zu/aus Filmen/Liedern usw. Irgendwie kam bei mir an, dass man sich letztlich selbst fremd bleibt, dem anderen sowieso. Aber ob das jetzt die 'gewollte Botschaft' ist oder nicht: ich bin durch. Das ist gerade alles was zählt.

Wirklich schade…

 

© Parden