Rezension

Erkenntnisreiches, zudem unterhaltsames Sachbuch

Was bin ich? Wie bin ich? Wozu bin ich? - Hermann Rühle

Was bin ich? Wie bin ich? Wozu bin ich?
von Hermann Rühle

Bewertet mit 4 Sternen

"Wer bin ich – und wenn ja, wie viele“ betitelte vor gut zehn Jahren der Philosoph und Autor Richard David Precht seinen damaligen Bestseller. Genau dieser Frage, die Philosophen von jeher und uns Normalbürger spätestens seit der Aufklärung immer wieder beschäftigt, geht auch der Augsburger Psychologe und Führungskräfte-Coach Hermann Rühle (74) in seinem Buch „Was bin ich? Wie bin ich? Wozu bin ich?“ nach, das Mitte August bei dielus edition erschien, einem jungen Leipziger Verlag für Ratgeberliteratur. Nach der Lektüre dieses 240 Seiten starken Buches sollte eine Antwort auf die Frage gefunden sein: „Bin ich, wer ich bin?“

Man könne Menschen nicht durchschauen, erklärt der Autor gleich zu Beginn, aber beobachten und sich mit Hilfe theoretischen Wissens erklären, warum sich Menschen so und nicht anders verhalten. Rühle hat also seine Mitmenschen aus verschiedenen Blickwinkeln beim beruflichen wie privaten Rollenspiel und beim bunten Treiben auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten beobachtet. „Warum hauen Männer auf den Putz und machen sich zum Affen und Frauen eher nicht?“ fragt er in lockerem, flapsigem Ton beispielsweise, lässt allerdings auch das weibliche Geschlecht als „Trophäenfrau“ und „Boxenluder“ nicht ungeschoren davonkommen. Wenn geltungshungrige Hähne mit geschwollenem Kamm auf dem Misthaufen spazieren, schauen die Hennen genau hin, denn „ist der Hahnenkamm kräftig rot gefärbt, kann sie davon ausgehen, dass der dazugehörige Kerl gesund ist“. Mit dem einfachen Satz „Der Mensch ist aus dem Urwald, aber der Urwald nicht aus dem Menschen“ bringt Rühle unser menschliches Problem auf den Punkt. Er betrachtet uns Menschen als „nackte Affen“, wie es schon vor 50 Jahren der britische Verhaltensforscher Desmond Morris in seinem gleichnamigen Bestseller eindrucksvoll tat.

Doch Hermann Rühle macht es nicht auf eine belehrende, sondern auf so humorige, leicht und locker lesbare Art, dass sein populärwissenschaftliches Buch zu lesen ein Vergnügen ist. Man spürt, dass der Autor nicht nur fachkundiger Psychiater, sondern durch seine vorangegangene Tätigkeit als Industrie-Kaufmann und seinen jetzt schon langjährigen Beruf als Coach von Führungskräften aus Industrie und Wirtschaft ein Lebenspraktiker mit breit gefächertem Erfahrungssprektrum ist.

Rühle will uns deshalb mit seinem Sachbuch auch gar nicht belehren, sondern er verhilft uns schleichend und unmerklich zur Selbsterkenntnis. Fast scheint er sich für sein Buch entschuldigen zu wollen. „In Wahrheit schreibe ich vor allem für mich selbst“, zitiert er den Schriftsteller Haruki Murakami aus dessen Buch „Von Beruf Schriftsteller“ (2016) und gibt selbst schon in seinem Vorwort vor, sein Buch eher für sich selbst geschrieben zu haben. Sollten wir uns also bei unserer Lektüre hin- und wieder ertappt fühlen, scheint dies vom Autor gar nicht gewollt. Oder etwa doch? Spricht er uns doch in den Überschriften zu den neun Kapiteln direkt an und fragt uns abschließend: „Haben Sie Ihre Identität gefunden?“

Jedem Abschnitt folgen eine Liste mit den wichtigsten Kernfragen sowie einige freie Zeilen für eigene Notizen zum jeweiligen Thema. Rühles Buch ist also nicht nur eine interessante, zudem noch recht unterhaltsame Lektüre, sondern zugleich ein Instrument zur Selbsterkundung. Durch diese Selbsterkenntnis soll der Leser an Selbstsicherheit und Durchsetzungsvermögen gewinnen (verspricht zumindest der Klappentext). Ob dies am Ende gelingt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber auch unabhängig davon ist Rühles Buch gute Unterhaltung, bei der man - die Fähigkeit zur kritischen Selbsterkenntnis vorausgesetzt - gelegentlich sogar über sich selbst schmunzeln darf.