Rezension

Erschreckend

Corpus Delicti - Juli Zeh

Corpus Delicti
von Juli Zeh

Cover:
Das Cover erzeugt bei mir, gerade wenn man weiß, worum es gehen wird, eine sterile Wirkung. Man kann das Desinfektionsmittel beinahe riechen und gleichzeitig erkennt man, dass es sich um einen politisch-dystopischen Roman handeln wird.

Meinung:
Mia Holl lebt in einem Deutschland, in der die Gesundheit über allem steht. Der Staat macht es sich zur Aufgabe, jeden Bürger dahingehend zu überwachen. Wie viel er trinkt, wie viel Sport er treibt, ob der Bakterienhaushalt einem normalen Grad entspricht und regelmäßig müssen Urin- und Blutproben abgegeben werden, um die jeweiligen Richtlinien zu erfüllen.
Man erfährt jedoch nach und nach, dass das System auch an seine Grenzen stößt. Als Mias Bruder sich wegen Beschuldigung eines Verbrechens umbringt, da er wegen seiner DNA überführt wurde, er jedoch weiß, dass er unschuldig ist.
Mia sieht es nun als ihre Pflicht an, seine Unschuld zu beweisen und gerät dabei mehr ins Visier der METHODE, als sie es eigentlich beabsichtigt hat.
Ich habe schon einige Dystopien gelesen, muss aber sagen, dass diese mich trotz altbekannter Mittel sehr überzeugen konnte.
Im Vordergrund steht der Prozess um Mia Holl, aber auch der Prozess ihres Bruders, der immer wieder in Form von Rückblicken oder Gesprächen erwähnt wird.
So verlaufen zwei Handlungsstränge nebeneinander. Durch Mias Sicht lernen wir die Welt kennen, die Juli Zeh entworfen hat und die ich als sehr erschreckend empfunden habe. Durch viele detailreiche Beschreibungen, die teilweise auch an bestimmte Kommentare oder Zitate aus Zeitungsartikeln bezüglich der Thematik erinnern lassen, wird der Eindruck verstärkt, dass das Szenario, welches Juli Zeh hier entworfen hat, gar nicht so weit entfernt von unserer jetzigen Lebensart ist. Dieses Gefühl wird dadurch verstärkt, dass der Roman im 21. Jahrhundert angesiedelt ist und nicht in ferner Zukunft.
Im Mittelpunkt dieses Szenarios steht vor allem die METHODE. Ihre Ansicht fußt darauf, dass die Gesundheit des Körpers allem anderen erhaben ist. Die Seele, das Herz und der Verstand spielen hierbei nur eine untergeordnete Rolle. Die Vernunft, die das Wissen um Körper und Gesundheit lenkt, steht schon viel höher in der Hierarchie. Dies rührt daher, dass der Geist unterschiedliche Auffassungen haben kann, ein Staat sich so gesehen spalten kann. Körper sind allesamt gleich und können demnach keine Rebellionen auslösen. Der Mensch ist glücklich und hinterfragt deshalb keine kritischen Dinge. Er lebt quasi sehr mechanisiert.
Mia ist Biologin und wird als Anhängerin des Systems beschrieben. Sie sympathisiert mit der Überwachung seitens des Staates, da sie die Ansicht vertritt, dass es richtig ist, gesund zu sein und jegliche Krankheiten aus ihrem Leben eliminiert zu wissen.
Dann ist aber da ihr Bruder Moritz, durch den wir die andere Seite, die Kehrseite der METHODE, kennenlernen und obwohl ich anfangs auch dachte, dass so ein Staat doch das Idealleben für die Menschen darstellt, änderte ich meine Meinung sehr schnell. Moritz ist ein „Freidenker“, er möchte selbst entscheiden, er möchte Mensch sein, ohne die angestrebte Perfektion. Immer wieder versucht er Mia davon zu überzeugen, ihre Ansichten zu überdenken, der METHODE kritischer gegenüber zu stehen, erzielt jedoch keinen Erfolg. Erst als er zu Unrecht verurteilt werden soll und sich deshalb das Leben nimmt, wacht Mia auf und hinterfragt den Staat, in dem sie lebt.
Immer wieder befindet man sich gemeinsam mit Mia im Gerichtssaal, erlebt mit, wie die Ansichten der METHODE sind und wie schnell Mias naive Aussagen falsch ausgelegt werden können. Das Umdrehen der Worte und deren Inhalt empfand ich als zutiefst erschreckend. Die Methoden, die hierbei angewendet werden, fand ich ziemlich brutal, dennoch passend zu dem Szenario, das Juli skizziert. Hier wird noch einmal die Konsequent dessen in aller Deutlichkeit klar.
Das Ende empfand ich als sehr passend, teilweise aber auch etwas undurchsichtig. Ich denke, hier muss man einige Zeit darüber nachdenken, was genau vor sich geht, um die Tragweite dessen verstehen zu können.

Fazit:
Ein Buch, das mich anfangs im Glauben ließ, dass dieses hier vorgestellte fiktive Deutschland gar nicht so übel ist. Je mehr ich jedoch von Moritz erfuhr und auch von Mias bröckelnder Fassade, desto mehr musste auch ich selbst, genau wie Mia, umdenken. Die Methoden des Staates hinterfragen und gleichzeitig hinterfragt man einige Dinge, die im realen Deutschland vor sich gehen. Eine erschreckende Dystopie, die in meinen Augen zu viel an Wahrheit besitzt, als dass man davor die Augen verschließen könnte.