Rezension

"Es ist die Unterströmung, verstehen Sie?"

DUNKLER FLUSS - Nicholas Bennett

DUNKLER FLUSS
von Nicholas Bennett

Bewertet mit 3.5 Sternen

David Weaver, mittelmäßig erfolgreicher Künstler, der sein täglich Brot mit dem Zeichnen von Comicstrips verdient, wird von Alpträumen und psychischen Problemen geplagt. Es ist seine Vergangenheit, die ihn nicht loslässt – August 1976, ein heißer Sommer in der Kleinstadt Measton und der gefährliche Fluss Meas, der eine fatale Rolle in Davids ganz persönlicher Tragödie spielt. Dieser Fluss, der seit jeher durch Measton fließt, birgt viele dunkle Geheimnisse und forderte ebenso viele Leben. Und dann erhält David einen Anruf, der ihn zwingt wieder in seine Heimatstadt zurückzukehren und sich dort den Dämonen seiner Kindheit endgültig zu stellen.

"Der Fluss lässt dich nicht vergessen, dachte er und erschauderte wieder. Der Fluss selbst vergaß nichts." (Zitat, Seite 99)

Leseeindruck

Diese Rezension fällt mir durchaus schwer, denn selten war ich von einem Buch so hin- und hergerissen wie von "Dunkler Fluss".
Warum dem so ist, versuche ich nun (ohne von der Handlung etwas vorwegzunehmen) in Worte zu fassen.

Zunächst sei gesagt, dass Nicholas Bennett einen durchaus ansprechenden Schreibstil hat. Er greift auf viele Bilder und Metaphern zurück, umschreibt blumig (teilweise ausschweifend), kann aber auch auf den Punkt genau formulieren. Passend zum Genre Mystery-Thriller bleibt Vieles nur angedeutet und vage, was zum Spannungsaufbau beiträgt. Auch die erschaffenen Bilder lösen oft ein wahres Kopfkino beim Leser aus.

Soweit so gut, doch eine sehr prägnante Vorliebe Bennetts hat mich (zumindest in der ersten Hälfte des Buches) beinahe verzweifeln lassen: die immense Anzahl von Personen und die damit verbundenen Namen. Schon nach dem Prolog war klar, hier ist Konzentration gefragt, zumal Bennett neben Vor- und Nachnamen auch Spitznamen und Kombinationen dieser drei Varianten verwendet. Hinzu kommt, dass es Namensgleichheiten oder -ähnlichkeiten gibt, sich viele Handlungsstränge ständig abwechseln und wir auch hin und wieder von der Gegenwart in die Vergangenheit "reisen" (nicht im wörtlichen, sondern übertragenem Sinn gemeint).
Ich selbst verfüge nicht über ein fotografisches Gedächtnis, wollte aber gern den Überblick behalten und habe mir deshalb eine Art Schautafel angefertigt, auf der ich mir die Personen und deren Bezug zueinander notiert habe. Damit konnte ich mich dann ungehindert auf die sehr komplexe aber auch interessante Geschichte einlassen. Wer sich diese Mühe nicht machen möchte, dem sei gesagt, dass sich etwa ab der Hälfte des Buches ganz klar die wichtigen Personen herauskristallisiert haben und dem flüssigen Handlungsverlauf nichts mehr im Wege steht.

Reizvoll und durchaus gelungen ist bei "Dunkler Fluss" die spannende Mischung aus Abenteuer-, Mystery- und Mittelaltergeschichte, Thriller sowie Grusel-/Horrorstory. Eine eindeutige Zuordnung ist einfach nicht möglich.
Klappentext und der Beginn der Story lassen keinen genauen Rückschluss auf das eigentliche Thema zu und so ist man gezwungen, sich in die Ereignisse rund um die englische Kleinstadt Measton fallen zu lassen und sich gleich der Flussströmung mit der sich entwickelnden Geschichte treiben zu lassen. Ich persönlich mochte das, konnte mich der Autor so doch immer mal wieder mit der Entwicklung seiner Geschichte überraschen.

Die Charaktere zeichnet Bennett ähnlich einem Künstler: Zunächst skizziert er sie nur grob, gibt ihnen dann nach und nach Schatten (und damit Kontur) und zu guter Letzt füllt er sie mit Farbe, verleiht ihnen so Tiefe und Lebendigkeit. Mit dem Protagonist David "Davey" Weaver ist ihm eine sehr sympathische Figur gelungen, die wir bereits im jungen Alter von fünf Jahren kennenlernen. Er trägt eine schwere Bürde:

"Den Druck, ein gutes Leben zu führen, den Druck, es nicht zu vergeuden." (Zitat, Seite 70)

Denn sein Leben verdankt er seinem besten Freund Grant. Ganz menschlich stellt sich David fortan dem Kampf des Lebens, strauchelt und stürzt dabei gelegentlich, steht aber immer wieder auf und bleibt sich selbst dabei treu.
Neben David Weaver fallen Thomas "Tom" Saunders, John "John-o" O´Connell, Mary Moran und dem Polizisten Collins die Rollen der "Guten" zu. Auch sie werden langsam aber stetig aufgebaut und dem Leser nähergebracht.

Titelgebend und zentrales Thema ist der Fluss Meas, der durch Measton strömt. Er ist der rote Faden in diesem Buch und auch in der Geschichte selbst.

"Der Fluss blieb dabei die einzige Konstante.
Generationen waren geboren worden und gestorben, doch er strömte immer noch auf seinem Weg durch das Land wie zähes Blut aus einem Schnitt im Fleisch der Stadt.
Und er vergaß nichts." (Zitat, Seite 100)

Der Fluss, natürlich "körperlich" vorhanden, ist aber auch eine Metapher für das Gewissen der Stadt, das sich an alles erinnert: An alles Gute aber auch an alles Schlechte, er konserviert vor allem die negativen Gedanken und Gefühle. Und als dann der Lehrer und Hobbytaucher Andrew Davies im Meas auf Schatzsuche geht, nimmt das Unheil seinen Lauf und breitet sich unter den Einwohnern der Stadt wie eine Krankheit immer weiter aus. Zunächst zieht niemand eine Verbindung in Betracht, doch nach und nach wird klar, dass der durch ein andauerndes Unwetter anschwellende Fluss die als "Flusswahn" bekannte Krankheit direkt nach Measton trägt.

Und damit habe ich nun genug angedeutet, bleibt noch zu sagen, dass mich "Dunker Fluss" stellenweise durchaus mitgerissen und bewegt hat, andererseits aber auch hier und da meine Geduld strapaziert hat.
Der Schreibstil ist toll, wenn auch ab und an etwas "hochtrabend-hölzern" und dadurch unbequem. Die zentralen Charaktere sind gut herausgearbeitet und agieren glaubhaft. Spannung und Gruselmomente sowie großartiges Kopfkino sind Stärken des Romans, dem entgegen stehen aber auch etliche unnötige Verzettelungen des Autors bei Ereignissen, die mehr verwirren, als aufklären und damit überflüssig sind. Der bereits erwähnte Wechsel von Vor-, Nach- und Spitznamen ist anstrengend und stört den Lesefluss.
Aber insgesamt konnte mich Bennett durchaus mit "Dunkler Fluss" abholen, wenn auch nicht uneingeschränkt.

Fazit

Wer einen spannenden und düsteren Genre-Mix mit gut gezeichneten Charakteren, einem interessanten Setting und einem ansprechendem Schreibstil lesen möchte, sich dabei nicht von vielen Personen und Namen abschrecken lässt, der ist bei "Dunkler Fluss" sehr gut aufgehoben. Von mir gibt es solide 3,5 Sterne.