Rezension

Familienbiografie

Ich hörte den Vogel rufen - Sally Morgan

Ich hörte den Vogel rufen
von Sally Morgan

Bewertet mit 4 Sternen

Sally Morgan wurde 1951 in Perth geboren. Die ausgebildete Psychologin und Bibliothekarin gilt als wichtigste Vertreterin der Aborigines-Literatur. Ihr erster Roman „Ich hörte den Vogel rufen“ erschien 1987 und wurde in Australien zu einem Bestseller. Da es wenig australische Klassiker gibt, wählte unser Lesekreis dieses Buch als australischen Vertreter.

Sally Morgan erzählt über ihre Kindheit und Jugend, über die Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft, ihre Suche nach Identität. Das Buch wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und ist das erste schwarz-australische Buch, das ins Deutsche übersetzt wurde.

Wir Leser erfahren, dass Sally als ältestes von vier Geschwistern bei ihrer Mutter und Großmutter aufwuchs. Ihr Vater war psychisch und körperlich krank aus dem Krieg zurück gekommen und starb früh. Einige der aus der Zeit mit ihrem Vater erzählten Episoden erinnerten an die Bücher „Schloss aus Glas“ und „Ein Baum stand in Brooklyn“. Sally entdeckte erst mit fünfzehn Jahren die schwarze Hautfarbe ihrer Oma. Da auch sie nicht reinweiß ist, redete ihr die Mutter ein, dass sie aus Indien käme. In den sechziger Jahren waren Aborigines Menschen zweiter Klasse und viele verleumdeten ihre Vorfahren. Als Sally begann, nach ihrer Herkunft zu fragen, erhielt sie keine Antworten. Zu groß war die Scham von Großmutter und Mutter. Erst als sie die Geschichte eines Großonkels erfuhr und niederschrieb, tauten auch Mutter und Großmutter auf und erzählten aus ihrem Leben.

Der Beginn des Buches gefiel mir noch recht gut. Mir drängte sich der Eindruck einer glücklichen Kindheit auf – trotz der herrschenden Armut. Der Zusammenhalt der Familie gefiel mir. Allerdings wurde das Minderwertigkeitsgefühl der Oma immer deutlicher. Im Laufe des Buches kamen mir die einzelnen Episoden mehr oder weniger unzusammenhängend aneinander gereiht vor. Das Lesen wurde langweiliger, der Stoff oft nichtssagend.

Als Großonkel Arthur zu Wort kam, fand ein regelrechter Stilbruch statt. Obwohl seine Geschichte nicht uninteressant war, fiel mir das Lesen schwerer. Es wurde erzählt, was geschehen war, doch nur zum Schluss gab es eine Einordnung der Worte: „Weißt du, das Problem ist, dass der Kolonialismus noch nicht vorüber ist. Wir haben immer noch ne Politik des weißen Australien gegen die Aborigines. Sie behaupten, es gebe keinen Unterschied zwischen Schwarz und Weiß, wir wären alle Australier, aber das ist ne Lüge“.

Sallys Mutter wurde von den weißen Arbeitgebern ihrer Mutter in ein Kinderheim gesteckt, wo sie eine „richtige“ Erziehung erhalten sollte. Sicher sind die erzählten Tatsachen erschütternd, doch geht diese Erschütterung im Erzählfluss etwas unter. Ob das am Alter des Buches liegt oder an den lange unterdrückten Emotionen der Protagonisten kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls hat das Buch letztendlich nicht gehalten, was ich mir davon versprochen hatte.