Rezension

faszinierende Lektüre mit enormem Lesesog

Brennende Felder -

Brennende Felder
von Reinhard Kaiser-Mühlecker

Bewertet mit 5 Sternen

Reinhard Kaiser-Mühlecker, österreichischer Bio-Bauer und Schriftsteller, legt mit "Brennende Felder" nach "Fremde Seele, dunkler Wald" und "Wilderer" den dritten Roman vor, der um eine Bauernfamilie in Oberösterreich kreist. "Brennende Felder" funktionniert dabei aus sich heraus, die Vorgängerromane muss man nicht gelesen haben.

Für mich findet sich bereits auf Seite 31 ein Schlüsselsatz dieses Romans: "Nähe. Mein Gott, wie viel Zeit hatte sie in ihrem Leben damit verbracht, darüber nachzudenken, weshalb sie sie nicht empfinden konnte. Wie fern andere waren." "Sie", das ist Luisa, die mit zwei Brüdern auf einem Hof in Oberösterreich aufgewachsen ist. Sie erfährt im Alter von 15 Jahren, dass sie ein Kuckuckskind ist, verläßt die Familie, in der sie aufgewachsen ist, dann das Dorf, lebt u. a. in Städten in Dänemark und Schweden, geht zwei Ehen ein, die scheitern, hat zwei Kinder, die bei den Exmännern leben.

Nach 20 Jahren trifft sie, mittlerweile alleinlebend in Hamburg, den Mann wieder, der sie aufgezogen hat und geht mit ihm eine Liebesbeziehung ein. Es ist der Mann, den sie 15 Jahre lang für ihren Erzeuger hielt, der der leibliche Vater ihrer Brüder ist und kehrt mit ihm in das Dorf ihrer Kindheit zurück. Luisa ist eine nicht mehr ganz junge, attraktive Frau. Der Typ Frau, der, sobald sie den Raum betritt, alle männlichen Blicke auf sich zieht.

Mit jeder Seite des Romans taucht der Leser tief in Luisas Gedanken ein, in ihre Sicht der Welt, in ihren Alltag. Schnell wird klar, Luisa lebt in ihrem eigenen, geschlossenen Kosmos, dessen Fixstern sie selbst ist und um den sich alles dreht. Sie sehnt sich nach Nähe, nach Anschluss und Anerkennung, findet diese aber nur in sexuellen Beziehungen. Scheitert die jeweilige Beziehung, liegt es nicht an ihr, immer an den anderen. Nah ist sie nur sich selbst, kann sich nicht in die Gefühle anderer hineinversetzen.

Als Leser verfolgt man fassungslos und gleichzeitig völlig fasziniert Luisas Treiben im Dorf, scheinbar so frei von Konventionen und bürgerlichen Moralvorstellungen. Das alles ist dermaßen geschickt vom Autor beschrieben, dass man erst gegen Ende des Romans zu wissen glaubt, was für ein Mensch Luisa wirklich sein könnte. Denn erzählt wird ausschließlich aus Luisas Perspektive. Dabei hat der Plot es wirklich in sich. Die Spannung wird durch einen unaufgeklärten und als Unfall dargestelltenTodesfall aufgebaut, und steigert sich dadurch, dass immer mehr Zweifel an Luisas Wahrnehmung und Darstellung der Geschehnisse aufkommen.

Ich bin in einen regelrechten Lesesog geraten, getrieben von der Frage, wer ist diese Luisa, was will sie, wie wird das enden, kann man ihr trauen ? Der Autor hat mit Luisa einen schillernden, Fassungslosigkeit und Faszination auslösenden Frauencharakter geschaffen, wie man ihn so in der Literatur selten findet. Dabei bleibt ihre Figur durchaus glaubwürdig, denn bei Menschen und ihren Macken gibt es ja leider nichts, was es nicht gibt.

Gefallen haben mir zudem die Beschreibungen der Natur, der Wetterverhältnisse, der Jahreszeiten und der oberösterreichischen Landschaft, Formulierungen wie z. B. "die sich im ausladenden Halbkreis am Horizont scharf abzeichenden Berge". Kaiser-Mühlecker läßt die ländliche Atmosphäre, etwa die derbe Jägerschaft, die trinkend beisammen sitzt, ebenso fühlbar werden wie die karge Kommunikation zwischen der einheimischen Bevölkerung, die einfach nur als Sprachlosigkeit bezeichnet werden kann. Das sind keine Menschen, die nächtelang ihre Befindlichkeiten ausdiskutieren.

Das Setting aus Land und Leuten läßt insbesondere ab der zweiten Hälfte des Romans an einen modernen Heimatroman denken. Doch wird die Bezeichnung Heimatroman "Brennenden Feldern" ganz und gar nicht gerecht, denn es handelt sich um viel mehr, nämlich um große Literatur.

Ich vergebe 5 Sterne. Sehr Lesenswert !