Rezension

Faszinierendes Leseerlebnis

Die Dame mit der bemalten Hand - Christine Wunnicke

Die Dame mit der bemalten Hand
von Christine Wunnicke

Bewertet mit 4 Sternen

"Wir glotzen alle in denselben Himmel und sehen verschiedene Bilder." (S.124)

Dieser knapp 170 Seiten umfassende Roman spielt auf Elephanta, einer kleinen Insel in der Meeresbucht vor Mumbai. Auf ihr gibt es noch heute sechs alte Höhlen, die zwecks der Verehrung Shivas aus dem Inselmassiv gehauen sind. Im Buch befinden wir uns im Jahre 1764: hier strandet der deutsche Mathematiker und Kartographierer Carsten Niebuhr, letzter Überlebender einer sechsköpfigen und vor allem theologischen Crew von Forschungsreisenden, auf dieser merkwürdig faszinierenden Insel und trifft in einer der Höhlen auf den Baumeister Musa aus Jaipur. Dieser wollte eigentlich nach Mekka reisen, ist aber selbst auf der Insel gestrandet und beschäftigt sich beruflich mit astronomischen Mess- und Recheninstrumenten. Während Carsten Niebuhr ab und zu unter Sumpffieberattacken leidet, schlägt man sich zusammen die Zeit bis zum nächsten vorbeikommendem Schiff tot, indem man in gebrochenem Arabisch beispielsweise über Sternbilder diskutiert - während die Deutschen in der Cassiopeia beispielsweise eine Frau sehen, zeigt dasselbe Sternbild für die Perser lediglich die bemalte Hand einer Frau. Und so ist Wunnickes literarisches Werk ein skurriler Ritt zwischen Fiebertraum, ost-westlichen Kulturunterschieden und schüchteren Annäherungsversuchen zweier Sichtweisen auf die Welt in bröckelnder Sprache, die manchmal eher verwirrend als aufklärend und selten zielführend sind. Ich fand die Handlung mitunter schwierig nachzuvollziehen und das Buch insgesamt doch anspruchsvoll zu lesen, war aber durch den realen Hintergrund der Geschichte positiv angetan, denn die Geschichte basiert auch auf realen Aufzeichnungen Carsten Niebuhrs. Die nicht einmal 200 Seiten bestechen derweil mit toller, verschnörkelter Sprache, oftmals trockenem Humor und einigen abstrusen Handlungsgängen. Kurzum: ich hatte trotz anspruchsvollem, forderndem Lesen viel Vergnügen mit der Lektüre.

"Die Dame mit der bemalten Hand" stand zudem 2020 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, und während die Höhlen auf Elephanta heute zum Weltkulturerbe zählen, macht die Autorin auf diesen besonderen, mir vorher unbekannten Kulturschatz der hinduistischen Höhlentempel, literarisch in besonderer Form aufmerksam. Lehrreich und ein sehr extravagantes Leseerlebnis zwischen Verwirrung und Spannung: Leseempfehlung von mir!