Rezension

Flucht eines Kriegsverbrechers

Das Verschwinden des Josef Mengele - Olivier Guez

Das Verschwinden des Josef Mengele
von Olivier Guez

"Todesengel von Ausschwitz" wurde Josef Mengele genannt, der Lagerarzt im KZ war. Seine Aufgabe bestand nicht nur in der Selektion der Deportierten bei der Ankunft in diejenigen, die sofort in der Gaskammer umgebracht werden und diejenigen, die unter unmenschlichen Bedingungen als Zwangsarbeiter schuften sollten, er war auch Forscher im Dienst der Nazi-Ideologie. Und so pickte er sich zu Forschungszwecken vor allem Zwillinge heraus, aber auch Körperbehinderte oder Kleinwüchsige, die er mörderischen Experimenten unterzog. Guez beschreibt aber nicht Mengeles Verbrechen; die kommen nur hin und wieder in kurzen Rückblicken ans Licht. Er schildert sein Leben nach dem Ende des Nazi-Regimes: Mengele tauchte unter falschem Namen als Hilfsarbeiter unter, bis ihm die Flucht nach Argentinien gelang. Unter der Herrschaft Perons wurden viele ehemalige Nazi-Größen dort willkommen geheißen, und auch Mengele baut sich ein neues Leben auf. Die Entführung Eichmanns durch den israelischen Geheimdienst erschüttert ihn zutiefst: Ihm ist klar, dass auch er ein gesuchtes Ziel ist, und so muss er immer wieder untertauchen, die Identität wechseln, nach Paraguay und schließlich Brasilien fliehen. Zutiefst misstrauisch allen Fremden gegenüber und voller Ängste führt er ein gehetztes Leben, seine erste und auch die zweite Ehe scheitern daran, er kann keine Bindung zu seinem Sohn aufbauen. Fast könnte man Mitleid mit ihm entwickeln, wenn er nicht weiterhin an seinen Idealen festhielte, wenn er Zweifel an seinem Verhalten zeigte oder vielleicht sogar Reue. Aber nein, nichts davon; Mengele ist davon überzeugt, dass seine Forschung im Dienst der Nazis auch der ganzen Menschheit diente. Und so bleibt der Leser fassungslos zurück vor der Uneinsichtigkeit nicht nur dieses einen Fanatikers, sondern auch vor der Erkenntnis, wie viele Menschen ihn unterstützt haben.

Guez Buch ist gründlich recherchiert; als Quellen gibt er an die hundert Bücher an. Dennoch bleiben Teile des Werkes natürlich fiktiv. Weitgehend schreibt Guez sachlich und zurückhaltend, aber immer wieder verwendet er auch Formulierungen, die diesen Stil brechen ("...der stechende Blick des Doktors, seine mephistophelischen Augenbrauen..." (S. 120). Auch der Schlusssatz erhebt den Zeigefinger deutlich: "Nehmen wir uns in Acht, der Mensch ist ein formbares Geschöpf, nehmen wir uns vor den Menschen in Acht." An diesen Stellen wäre meines Erachtens weniger mehr gewesen; Guez hätte dem Leser getrost ein eigenes Urteil zumuten und auch zutrauen können.