Rezension

Mengele, Mitmensch und Mitmonster

Das Verschwinden des Josef Mengele - Olivier Guez

Das Verschwinden des Josef Mengele
von Olivier Guez

Bewertet mit 5 Sternen

Oliver Guez wagt ein Experiment, nämlich einem Monstrum der Geschichte wie Josef Mengele ganz nah zu kommen. So nah, dass man diesen Inbegriff der Menschenquälerei plötzlich als Menschen wahrnimmt und nicht als Symbol.

Warum ist das gewagt? Weil bei solcher Nähe die Gefahr besteht, dass erstens der monumentale Menschenfeind Mengele zu einem banalen Verbrecher geschrumpft wird, einem Menschen mit Vater und Geschwistern, dem man als Leser zweitens so nahe kommt, dass man sich womöglich mit ihm und seinen Sorgen und Nöten identifiziert.

Guez gelingt diese Nähe, ohne dass Mengele auch nur zu einem einzigen Zeitpunkt sympathisch, bedürftig oder mitmenschlich erscheint. Im Gegenteil: Indem Guez das Symbol Mengele in seiner Menschlichkeit nachgerade auflöst, fragmentalisiert und filetiert, wird die „Banalität des Bösen“ nur umso sichtbarer: Es ist kein Monstrum, das als KZ-Arzt unmenschliche Versuche unternommen hat, sondern ein Mensch wie du und ich. Und das macht seine Verbrechen umso unverzeihlicher.

Gleichzeitig stehen einem beim Lesen die Nackenhaare zu berge, wenn langsam durch die Zeilen sickert, wie viel Hilfe der gejagte Kriegsverbrecher Mengele durch seine Familie, alte Kader und sogar Vertreter der Bundesrepublik erhalten hat. Hier wächst der Roman zum Lehrbuch der Geschichte aus.

Guez ist ein extrem schwieriges Unterfangen grandios gelungen. Ein großartiges Buch.