Rezension

Folgen des Schweigens

Im Licht der Nebensonnen - Bente Seebrandt

Im Licht der Nebensonnen
von Bente Seebrandt

Bewertet mit 4 Sternen

„...Vom östlichen Horizont aus breitete sich durchsichtiges Licht wie orangefarbenes Puder über die Wölbung des Himmels, darunter segelten gelbe und weiße Wolkenbänke, die sich über Davids Kopf in kleine Schäfchenwolken auflösten...“

 

David ist Lehrer. Nach dem Tod des Großvaters und der Trennung von seiner langjährigen Freundin Ellen braucht er Luftveränderung. Deshalb hat er sich um eine Stelle in Husum beworben und tritt diese nun an. Bei seiner Ankunft blockiert er den Parkplatz von Louise Brodersen. Sie herrscht ihn wutentbrannt an. Als David wenige Tage später zur Weiterbildung auf eine Halling geschickt wird, trifft er Louise wieder.

Die Autorin hat eine tiefgründige Gegenwartsgeschichte geschrieben. Das Besondere daran ist, dass die Erzählung Parallelen zu einer Novelle von Theodor Storm nutzt.

Die Protagonisten werden gut charakterisiert. Louise, die mir im ersten Moment als starke Frau erscheint, wird sich im Laufe der Geschichte sehr verändern. Sie ist mit einem Pastor verheiratet, selbst nicht gläubig, hat aber bei ihm ein Heim für sich und ihre drei Kinder gefunden. Die beiden Älteren hat sie mit in die Ehe gebracht. Es zeigt sich schnell, dass sie über wenig Selbstbewusstsein verfügt und im privatem Bereich jede Auseinandersetzung scheut.

David bringt sich aktiv in der Schule ein. Doch seine Ideen finden bei der Rektorin kaum Gegenliebe. Er will mit seinen Schülern Kunstwerke zum Thema „Gift für die Demokratie – gibt es das?“ gestalten und wird zurückgepfiffen. Die Rektorin beruft sich, auch gegenüber anderen Kollegen, auf ihr Weisungsrecht und verdeckt damit eigene Leitungsschwächen.

Der Sprachstil des Buches ist sehr ausgereift. Das zeigt schon das obige Zitat. Die Beschreibung der Landschaft und der Natur auf der Insel geschieht durch passende Metapher. Dadurch wird der Widerspruch zwischen der Schönheit der Natur und dem durch Zerrissenheit gekennzeichneten Familienleben von Louise besonders betont. Hier dominiert Ruhe und Ausgeglichenheit, dort Ängste und Verbitterung. Der Stein des Anstoßes ist Louises Schwester Charlotte, die seit 3 Monaten im Pfarrhaus wohnt. Louise war dagegen. Aber ihr Mann meinte, dass man Charlotte nach ihrer Rückkehr aus der Heimat aus christlicher Nächstenliebe ein Heim bieten müsse. Er ahnt nicht, dass damit der Anfang vom Ende alles dessen beginnt, was ihnen wichtig ist. David fühlt sich von Louise gleichzeitig angezogen und abgestoßen. Doch noch wird sein Handeln durch die Worte seines Großvaters bestimmt, der für Ehebruch keinerlei Verständnis hätte. Davids Leben wurde vom Großvater dominiert. Er war für David Stütze und Halt, denn das Verhältnis zur Mutter war schwierig. Er war der ungewollte Sohn. Nun vergleicht David das Verhalten seiner Mutter ihm gegenüber mit dem Verhalten von Louise gegenüber dem Sohn Henry.

Die Autorin lässt mich tief in die Psyche ihrer Protagonisten blicken. Während David sich nach und nach von seiner Vergangenheit löst, steuert Louises Weg erst einmal auf eine Katastrophe zu. Fast völlig ausgespart allerdings bleibt das Innenleben von Godber, dem Pastor, und Charlotte. Die beiden lassen sich nur durch ihre Handlungen einschätzen. Der Vergleich mit der Tragik der Novelle von Theodor Storm durchzieht die Geschichte wie ein roter Faden. Über weite Strecken liegt über der Erzählung eine düstere und bedrückende Atmosphäre. Es sind Episoden zweier Lebensgeschichten, die hier miteinander verwoben werden.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Das liegt unter anderem an dem Schriftstil, der gekonnt die komplexe Situation in all ihrer Vielfalt wiedergibt. Zum anderen zeigt die Erzählung erneut, dass Schweigen und Ertragen nie das richtige Mittel der Wahl ist. Auch der unterschiedliche Umgang mit Schuld wurde gekonnt thematisiert.