Rezension

Francisco oder Javier?

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya - Jacek Dehnel

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya
von Jacek Dehnel

Bewertet mit 3 Sternen

Der Gegensatz zwischen Francisco de Goya, dem berühmten Maler, und seinem Sohn Javier, ebenfalls Maler, könnte größer nicht sein. Melancholisch und in seiner Kunst gehemmt der Sohn, genialisch und kraftstrotzend der Vater: Der Verlierer in diesem Generationenkonflikt scheint festzustehen. Doch dann wächst Javier über sich hinaus. In einem kreativen Rausch gelingen ihm einige der gewaltigsten Bilder der Kunstgeschichte. (von der dtv-Verlagsseite)

Vorbemerkung:

Bevor Francisco Goya, damals schon taub und gebrechlich, aber ungebremst in seiner Schaffenskraft, nach Bordeaux zog, lebte er in seinem Landhaus Quinta del Sordo (Haus des Tauben), wo er die Wände mit düsteren, bedrückenden Fresken bemalte, den sogenannten Pinturas negras (Schwarze Bilder). 1860 wurden die zerbröckelnden Bilder abgenommen und auf Leinwand übertragen. Heute sind sie im Prado zu sehen. Laut Nachwort des Autors bestehen inzwischen begründete Zweifel daran, dass diese Bilder von Goya stammen; Juan José Junquera, Professor für Kunstgeschichte an der Universität Madrid, stellte die These auf, dass Goya die Bilder nicht gemalt haben kann, u.a. weil der Teil des Hauses, dessen Wände die Fresken zierten, erst nach seinem Tod erbaut wurde. Dehnel schafft aus diesen Voraussetzungen die Fiktion, die Fresken seien von Goyas Sohn Javier gemalt, der in der realen Historie irgendwo verschwunden ist.

 

Saturn ist der römische Gott, der seinen Vater Uranus entmannte, die Macht an sich riss und nach der Prophezeiung, er werde selbst von einem seiner Kinder gestürzt, diese auffraß.  In zweifacher Hinsicht ist das Motiv des Saturn maßgeblich für das Buch: Als Verweis auf eines der Pinturas negras, das Saturn zeigt, wie er gerade ein Kind frisst,  und als Allegorie der Beziehung zwischen Vater Francisco und Sohn Javier.

Er hat es nicht leicht neben dem dynamischen, hyperaktiven und umschwärmten Vater, der Sohn, der das zurückgezogene Leben, die Welt der Bücher und das Alleinsein vorzieht. Die Worte, mit denen ihn der Vater benennt, treffen ihn ins Herz. Auch hält Javier es für möglich, dass nicht er selbst, sondern Francisco seinen, Javiers Sohn Mariano gezeugt hat, zumal der Junge sich mehr zum Großvater hingezogen fühlt und den Vater immer mehr verachtet.

Zu Lebzeiten des Vaters schafft Javier ein einziges Gemälde (tatsächlich bestehen begründete Zweifel an der Urheberschaft Goyas an “Der Koloss“), erst nach dessen Tod traut er seinem künstlerischen Talent.

Schachbrettartig setzt Dehnel Aussagen von Francisco und Javier, später auch Mariano nebeneinander, fügt dazwischen Ekphrasen über sämtliche vierzehn Gemälde ein. Die Handlung setzt sich also aus Monologen der Beteiligten im Kopf des Lesers zusammen; allerdings wird ihr Fluss dadurch behindert.

Auch entsteht dadurch ein eindeutiges Ungleichgewicht, und der Leser wird zu einer Parteinahme gedrängt. Francisco – unbeherrscht, egozentrisch, sexistisch, Javier – sensibel, zweiflerisch, vereinsamt und am Ende noch Mariano – gleichgültig, überheblich, berechnend.

Ob Dehnel mit diesen Charakterisierungen den Männern der Familie Goya gerecht wird?

Einen interessanten, aber kunstgeschichtlich bisher nicht bewiesenen Ansatz liefert der Autor. Ein Gedankenspiel also, und so sind die Ekphrasen die aussagekräftigsten und fesselndsten Passagen des Buches.