Rezension

Für alle, die es ernst meinen mit ihrem Spaß an Game of Thrones

Industrielle Revolution 4.0 -

Industrielle Revolution 4.0
von Oliver Haardt

Der Sammelband „Die Wissenschaft von Games of Thrones“, herausgegeben von Jena-Sebastién Steyer, versammelt sieben Aufsätze zur Fantasy-Saga von George R. R. Martin, die mit vollem Ernst und der ganzen Expertise ausgewiesener Wissenschaftler ihres Faches in die Welt von Westeros blicken, sie analysieren, interpretieren, deuten und weiterdenken. Thematisch reicht dies von geologischen Absätzen über spannende Klimamodelle, eine anthropologisch-biologische Studie, eine Sprachanalyse bis zur Psychoanalyse Joffrey Baratheons und den psychopathologischen Auffälligkeiten fast aller Handelnder der Geschichte und zu einer kinematografisch-ikonografischen Analyse des Bild vom Tode.

Allen Aufsätzen vorangestellt ist der Hinweis, ob sich der Text auf die Fernsehserie oder die Buchsaga bezieht – oder beide –, was durchaus von Bedeutung ist. Ich habe den starken Eindruck, dass die Kapitel, die sich mit der Buchsaga befassen, deutlich mehr analytische Tiefe und interpretatorische Schlagkraft haben als die, die sich auf die Fernsehserie beziehen. Ohne zu sehr dem Kulturdefätismus nachzugeben, scheint mir das auch dem Gefälle zwischen den Büchern von Martin und insbesondere den späteren Staffeln von D&D (= Dumm & Dümmer, David & Daniel) zu entsprechen.

Meines Erachtens ist das der mit Abstand stärkste Beitrag in dem Band der des Linguisten Frédéric Landragin über „Die Sprache im Lied von Eis und Feuer“. Landragin hat einen wirklich breiten und mehrgleisigen Zugriff auf die Saga von Martin. Zum einen untersucht er den Gebrauch der von Martin zur Erzählung verwendeten Sprache, analysiert mithin also die Literarizität des Textes und bescheinigt ihm ein sehr hohes Niveau. Mit dem Gefühl, dass Martin ein vielschichtiger Erzähler komplexer Geschichten und vielfarbiger Klänge ist, liegt man also nicht falsch: Landragin weist es nach, etwa in der Analyse der "sword"-/"word"-Metaphern. Er geht hier selbstredend an das englische Original - notwendig, um den Autor wirklich analysieren zu können. Zweitens kritisiert er die französische Übersetzung. Das ist aus fachlicher Sicht ganz spannend, darauf kann ich mir als deutscher Leser allerdings auch ein Ei pellen. Es bleibt für mich bei der teilnehmenden Beobachtung, wobei die Translationsanalyse Landragins freilich auch immer das englische Original ausleuchtet, wovon ich lernen konnte (etwa S. 133 f. die Ausführungen zum "Prinzen" in den Prophezeiungen). Zum dritten widmet sich Landragin den von Martin erfundenen Sprachen seiner Welt – etwa des Dothraki – und führt hier die subtile Arte und Weise vor, in der Martin einen Sprachenbaum entwirft und verwendet, ohne ihn zum Klingen zu bringen. Der hier eingeführte Vergleich zur HBO-Serie ist deshalb umso erhellender. Als eingefleischter Tolkien-Fan und Verehrer seiner Fähigkeiten als "Conlanger" (Spracherfinder) bin ich von Martins Unternehmungen auf diesem Feld freilich ein wenig enttäuscht, aber seine Fähigkeiten liegen unbestritten auf einem anderen Gebiet.

Allerdings sind alle Beiträge auf einem hohen Niveau, zeugen von einer hedonistischen Hingabe sowohl an die Fantasy als auch das eigene Fach und überraschen mit der Erkenntnis, dass etwa ein namhafter Klimaforscher seinen privaten Rechner mehrere Wochen damit lahmgelegt hat, unterschiedliche Klimamodelle für die Welt von Westeros durchkalkulieren zu lassen.

Dennoch muss ein wenig Wasser in den Wein gegossen werden: Die Übersetzung hat offensichtlich nicht genügend Zeit gehabt, ihren Job richtig abzuliefern. Das zeigt sich in lässlichen Details, vor allem aber in den unbearbeiteten Fußnoten, die sich auf die französischen Ausgaben beziehen, die ich als deutscher Leser schlicht nicht nutzen kann. Hier hätte man unbedingt den Praktikanten oder die Volontärin an die deutschen Romanausgaben setzen müssen, um auf die Ausgabe der Sprache zu verweisen, in die der vorliegende Band übersetzt wurde, nämlich der deutschen.

Es hätte dem Band gut getan, wenn man noch einen oder zwei Beiträge aus dem deutschsprachigen Raum hinzugenommen hätte, um den deutschen Lesern in bekannteren Beispielen näher zu kommen.

Die Aufmachung des großformatigen Sammelbandes ist edel, gedruckt auf Hochglanzpapier, was den schönen Illustrationen zugutekommt, der Text durchbrochen von farbig abgesetzten Marginalien:

Alles in allem ist es eine helle Freude, echten Fachleuten bei der Ausübung ihrer Profession an einem Objekt zuzuschauen, das völlig fiktiv ist und mir auch so viel Spaß gemacht hat.