Rezension

Für den Rest des Lebens....

Fast am Ende der Welt -

Fast am Ende der Welt
von Bernd Schroeder

Bewertet mit 3.5 Sternen

Über den Versuch zweier Münchner, sich ihren Lebenstraum inmitten der Natur zu verwirklichen - Überraschungen sind dabei inbegriffen

Da haben sich zwei gefunden, denkt nicht nur Kellnerin Kathi, wenn man den langen, dünnen Josef Peukert und den kleinen, untersetzten Attila Bauer in ihrem Münchner Stammlokal zusammenhocken sieht und ihren Plänen lauscht! Auf's Land wollen sie, raus aus dem Großstadtgetriebe, die Stille suchen sie, das einfache Leben direkt am Busen der Natur. Ob die, vor allem bei dem Schickeria-Gewächs Attila, überschäumende Begeisterung die nicht vorhandene Erfahrung wettmacht, die es nun einmal braucht, wenn man einen zugemüllten, verfallenen Aussiedlerhof im tiefsten Bayern, jenseits aller Zivilisation, wie Siegfriedsruh, das einst als Sobeckhof bekannt war, instandsetzen und ihn schließlich bewirtschaften möchte? Und werden die beiden grundverschiedenen Münchner, deren bisherige Lebensentwürfe Lichtjahre voneinander entfernt waren, überhaupt auf lange Sicht miteinander klarkommen? Ist der gemeinsame, der große Traum als Bindeglied tragfähig genug? Die beiden nicht mehr jungen Herren scheinen sich darüber viel weniger Gedanken zu machen als all die unkenden Menschen in ihrem Umfeld. Sie schmieden Pläne und gehen die Sache an, nachdem das geeignete Objekt einmal gefunden wurde!

Das könnte denjenigen unter den Lesern, die ebenso heimliche Sehnsüchte nach einem einfachen Leben abseits der Hektik der modernen Zeit verspüren, Auftrieb geben, könnte sie ihren ganzen Mut zusammennehmen lassen, könnte man nun vielleicht denken, denn es sieht ganz danach aus, als würde den beiden ein wenig seltsamen Männern ihr Vorhaben gelingen, nachdem zu vernachlässigende Kleinigkeiten wie ein eingestürztes Dach, eine ob der strengen winterlichen Kälte komplett versagende Heizung und zugeschneite Zufahrtswege nach der Zwangsüberwinterung in den jeweiligen Münchner Wohnungen, die beide klugerweise behalten haben, erfolgreich behoben werden. Nun, alles kein oder doch wenigstens kein unlösbares Problem, wenn man über scheinbar unbegrenzte finanzielle Mittel verfügt, wie der ehemals erfolgreiche Antiquitätenhändler Attila, der durch nicht ganz astreine Geschäfte bei den Reichen und, dank Botox und Co., einigermaßen Schönen aus der zweifelhaften feinen Gesellschaft Münchens – aber die Stadt könnte dabei durchaus austauschbar sein, denn die Geldleut' sind überall gleich! - in Ungnade gefallen aber, wie das nun einmal seiner Stehaufmännchennatur entspricht, sicher auf allen Vieren gelandet ist. Und wenn man dank seiner quirligen, durchaus menschenfreundlichen Natur auch in Zeiten, in denen Handwerker so gesucht und so schwer zu bekommen sind wie nie, auf einen Haufen nützlicher Kontakte zurückgreifen kann! Denn obwohl Schreiner von Beruf ist Attila niemand, der praktische Tätigkeiten verrichten könnte oder möchte. Er versteht sich als Organisator – und dieses Metier beherrscht er meisterhaft – und als Ideengeber, worin er, das muss man ihm lassen, geradezu unschlagbar ist. Doch leider verfliegt seine Begeisterung oft genauso schnell, wie sie gekommen ist! Das stellt einerseits ein Risiko für diejenigen dar, die sich mit ihm einlassen, ist anderseits jedoch eine Erleichterung für den besonnenen, vorsichtigen Josef, wenn's der Attila einmal gar zu bunt treibt mit seinen exotischen Einfällen!

Ja, nun ist es an der Zeit, dem Mitbewohner des Paradiesvogels, dem Josef Peukert, ein paar Gedanken zu widmen! Ein merkwürdiger Kauz ist er, der auf seine Art nicht weniger eigenartig ist als sein neugefundener Kumpel mit dem großspurigen Namen, für den ein gewisser Hunnenkönig Pate gestanden haben mag – aber vielleicht, wenn man seinem Vater begegnet, der noch immer die Welt mit seinen verrotteten Ansichten unsicher macht, auch nur der Vorstellung von Originalität seitens der Eltern, die offensichtlich nicht die hellsten Lichter am Kronleuchter waren, entsprungen ist. Ein an Reduziertheit nicht zu übertreffendes Leben hat der Josef geführt, 65 Jahre lang – bis er dem kunterbunt gekleideten Attila begegnete. Bis zu ihrem Tod hat er mit der früh verwitweten Mutter in einer recht geräumigen Wohnung in der Münchner Innenstadt gelebt, wie's ausschaut haben sich die Zwei sogar ein Bett geteilt. Freunde hat er nicht gehabt, auch nicht in der Eisenwarenhandlung, in der er zeitlebens gearbeitet hat, immer pünktlich, immer korrekt, jedes Schräubchen beim Namen nennen könnend, ohne es je an seinen ihm bestimmten Platz angebracht zu haben. Die Stille liebt er, der Herr Josef, das ist das, was ihn wohl am besten beschreibt. Und eine tiefe Sehnsucht hegt er – wie man im Laufe der Geschichte langsam begreift, nach Zugehörigkeit, nach Menschen, ganz wenige reichen ihm, mit denen er eine Familie sein kann. Diese Glückes wird er, der Leser wird es bald feststellen, da draußen auf dem Land teilhaftig, für eine unvergessliche, aber leider nur kurze Zeit. Aber auch wenn er auf traurige Weise verliert, was er immer gesucht hatte – ist ein zwar kurzes, aber intensiv gelebtes Glück nicht tausendmal mehr wert als ein Leben, das nur aus unerfüllten Sehnsüchten besteht? Ob Josef das schließlich auch so sehen wird, bleibt dahingestellt, auch, ob er wirklich bereit ist, sich auf ein neues Abenteuer oder, wenn man so will, eine neue Suche nach dem Glück einzulassen, mit dem unverwüstlichen Attila an seiner Seite.

Zwei interessante Charaktere hat Bernd Schroeder mit den beiden Münchnern, die sich einen Lebenstraum erfüllen, geschaffen. Nicht sofort erschließen sie sich dem Leser, es braucht die gesamte Geschichte mit all ihren Ver- und Entwicklungen, um tiefer in sie hineinzuschauen, sie zu begreifen. Tiefgründigkeit kann man bei Josef früher vermuten als bei Attila, dem man, je mehr man von seinem reichlich unsteten Leben erfährt, in dem er ständig auf der Suche nach etwas Neuem war, in dem eine Begeisterung die andere ablöste, vielleicht vorschnell Oberflächlichkeit attestieren würde, ebenso wie Unzuverlässigkeit und Egoismus. Doch weit gefehlt! Menschen, die ihm etwas bedeuten, lässt er nicht fallen; er kümmert sich, kann eine Beharrlichkeit entwickeln, die seine Sprunghaftigkeit Lügen straft. Dem Josef ist er ein treuer Freund, wobei man eher umgekehrte Rollen erwartet hätte! Dass es schließlich der Josef sein würde, der den gemeinsamen Traum ziehen lässt und einen Rückzieher macht, überrascht. Die Entwicklung der Handlung überrascht ebenfalls, das Ende war ganz und gar nicht vorhersehbar – und ich bin mir auch jetzt, nachdem ich Muße hatte, das Gelesene zu reflektieren, nicht sicher, ob es mir gefällt, ob es das einzig logische war oder ob es nicht noch andere Wege gegeben hätte, die Geschichte enden zu lassen. Enden? Das ist nicht der richtige Ausdruck, denn der Schluss ist im Grunde offen, der Leser kann sich ausmalen, wie das nun weitergeht mit Attila und Josef, oder ob überhaupt. Ob die alte von Sehnsucht von einer neuen abgelöst wird? Zu dem Josef, wie er sich mir zum Abschluss zeigt, würde das nicht passen, ich empfände es als nicht stimmig. Ja, in seiner Figur gibt es für mich nicht nachzuvollziehbare Brüche angesichts dieses, vom Autor gewählten Ausgangs.

Dass ich das Buch dennoch gerne gelesen habe, muss hinzugefügt werden, obschon der schöngeschriebene, einfühlsam erzählte Anfang denn doch nicht gehalten hat, was er versprach und ich darüberhinaus ein eingefügtes Krimielement als vollkommen überflüssig und der Geschichte selbst nicht dienlich erachte, was auch für den unerwarteten und wenig gewinnenden Besuch aus Amerika gilt. Beides stört den ruhigen Fluss der sich langsam und ansonsten folgerichtigen entwickelnden Erzählung mit dem rührend altmodischen Touch, der mich zu Beginn meiner Lektüre so unwiderstehlich in seinen Bann gezogen hatte. Schade, dass dieser Eindruck kein bleibender war und die durchaus realistische Geschichte abgeflacht ist, je weiter sie sich entwickelte. Nicht alles, meine ich, muss an das Vorbild der Realität angepasst werden; in Romanen darf man als Autor über das Schicksal ruhig mal selber bestimmen und es in eine verheißungsvolle Richtung lenken!