Rezension

Gamaches erster Fall

Das Dorf in den roten Wäldern - Louise Penny

Das Dorf in den roten Wäldern
von Louise Penny

Bewertet mit 5 Sternen

Wundervoller Cosy Crime, der zwar gemächlich verläuft, aber dennoch sehr lebendig ist.

Diese Rezension möchte ich mit einem Zitat beginnen, welches den Inhalt des Buches sehr genau zusammenfasst: S. 392 "Das Leben hier war weit davon entfernt, hektisch zu sein. Aber es stand auch nicht still."

Eben dieser Umstand macht das Buch, in dem es um den ersten Fall im kleinen Örtchen Three Pines irgendwo in Kanada geht, für mich so lesenswert. Gewöhnlich ist die Sparte Cosy Crime nicht unbedingt meine bevorzugte, als ich im Buchhandel jedoch die vielen unterschiedlichen Bücher von Louise Penny sah, habe ich zugegriffen. Das Werbekonzept ist bei mir also aufgegangen.

Im kleinen Örtchen Three Pines wird die Leiche der allseits sehr beliebten, ehemaligen Dorflehrerin Jane Neal gefunden. Eben weil Mrs Neal bei allen so beliebt war und sie ganz offensichtlich keine Feinde hatte, erscheint es überaus fraglich, ob es sich tatsächlich um Mord oder doch eher um einen Unfall handelt. Chief Inspector Armand Gamache glaubt zunächst das Offensichtliche, aber ist das wirklich so?

Gamache ist ein sympathischer Mensch, ruhig und direkt. Er wird von seinen Mitarbeitern nicht nur wegen seiner Erfahrung sehr gemocht, sondern insbesondere wegen seiner wertschätzenden Art. Ich finde es wirklich bemerkenswert, wie er auch schwierige Situationen stets auf Augenhöhe und ohne seinen Gegenüber abzuwerten meistert. So mochte auch ich ihn auch von Anfang an. Ein wenig erinnert er mich an Columbo, der zwar auch diverse unangenehme Fragen stellt, aber dabei immer wertschätzend bleibt. 

Umgeben ist Gamache von vielen Mitarbeitenden, von denen nicht viele wirklich im Vordergrund stehen. Er ist die zentrale Figur auf der Ermittlerseite. Zwei sind aber dennoch zu erwähnen. Zum Einen wäre da Yvette Nichol - eine junge, aufstrebende Polizistin, die verzweifelt darum bemüht ist, Ansehen zu erlangen - insbesondere Gamaches Ansehen. Zu Beginn erscheint sie beflissen und sympathisch. Doch schon bald wird sie mir immer unsympathischer. Sie wirkt auf mich überheblich und arrogant, glaubt ständig, dass sie von ihrer Umwelt nur missverstanden wird und greift schlussendlich sogar zum Stilmittel der Lüge womit sie Gamaches Ermittlungen behindert. Ihr fehlt eben genau das, was alle Charaktere und auch ich an Gamache schätzen. 

Der andere Mitarbeiter ist Inspector Beauvoir, eine treue Seele und zufrieden in seiner Position als Gamaches Mitarbeiter. Er bewundert Gamache und hat bereits viel von ihm gelernt. Dabei ist er ebenso sympathisch wie Gamache und obwohl wir die beiden noch gar nicht näher kennen, macht es den Eindruck, als würden sie bereits viele Jahre zusammenarbeiten. Eine wunderbare Mischung aus Menschlichkeit und Effizienz. 

Die Dorfbewohner sind vielfältig. Manche machen sich schnell verdächtig, andere schließt der Leser wohl sofort aus. Die Autorin versteht es, Dinge zunächst auf eine bestimmte Art erscheinen zu lassen und dann ganz langsam das Bild zu übermalen oder auch den Hauch der Friedfertigkeit abzuziehen. Dabei geht sie behutsam vor, allerdings ist es nicht so, dass sich die Geschichte lang hinziehen würde. Es passiert immer irgendetwas und so habe ich das Gefühl, dass das Tempo der Geschichte an das des gewöhnlichen Dorflebens angepasst ist. 

Zu Beginn des Buches taucht der Leser in ein Dorf irgendwo in Kanada ein. Es ist ruhig und beschaulich und die Dorfbewohner sind eben Dorfbewohner, denen man nichts böses zutrauen möchte. Häppchenweise lässt Penny mehr und mehr die Masken fallen, die Dorfbewohner werden zu Freunden des Lesers - oder eben auch zu Menschen, die man lieber nicht kennen möchte. So erhält der Leser einen Blick hinter die Kulissen, wo längst nicht mehr alles dörflich und beschaulich ist. 

Besonders fasziniert hat mich dabei der Umstand, dass die Autorin einen tiefen Einblick in die kanadische Gesellschaft liefert. Quebec ist ein Kanton, in dem beispielsweise englisch und französisch gesprochen wird. Allein hierin liegen schon gesellschaftliche Gegensätze. Zudem konfrontiert sie den Leser mit Vorurteilen und Diskimierung in der Gesellschaft. Dies tut sie jedoch so überhaupt nicht vordergründig, sondern lässt es vielmehr wie nebenbei einfließen und verdichtet so immer mehr das Bild dieses kleinen Dörfchens in dem bis zu Jane Neals Tod die Welt noch in Ordnung war. 

Mir gefällt - ganz gegen meine Gewohnheit - die Gemächlichkeit der Geschichte und der Umstand, langsam zusammen mit Gamache und Beauvoir die Dorfbewohner kennenzulernen. Die Autorin zeichnet vielschichtige Charaktere, die so überaus authentisch daherkommen, als könnte man ihnen an jeder beliebigen Straßenecke begegnen. Sie spielt mit kleinen Details ohne sich in ihnen zu verlieren; sie beschreibt die Dinge, sodass es dem Leser leicht fällt, sich das Dorf und die Menschen darin vorzustellen. Dabei bedient sich die Autorin einer Schreibweise, die einen durchgängigen Lesefluss ermöglicht. Nur ganz zu Anfang, wenn die Figuren noch nicht so bekannt sind, muss man sich vielleicht etwas mehr konzentrieren, eben weil es recht viele Figuren sind, die hier agieren. 

Einen Minuspunkt muss ich jedoch anbringen. Obwohl mir das Buch wirklich gut gefällt, finde ich den Preis von 17,90 Euro für ein Softcover mit knapp 400 Seiten unverhältnismäßig hoch. 

Fazit: 

Ein gelungener Cosy Crime im fernen Kanada, bei dem es Freude macht, gemeinsam mit den Ermittlern dem Fall auf die Spur zu kommen. Die Gemächlichkeit der Geschichte passt zum Leben in einem Dorf und die Charaktere sind vielschichtiger, als es zunächst den Anschein hat. Wer Freude an der Langsamkeit haben kann und wer auch nicht vor gesellschaftskritischen Aspekten innerhalb einer fiktiven Geschichte zurück schreckt, sollte hier unbedingt zugreifen. Es lohnt sich. 5 von 5 Sternen.