Rezension

Geniales oder gescheitertes Romanexperiment? Bin unschlüssig

Wohin der Wind uns weht - João Ricardo Pedro

Wohin der Wind uns weht
von João Ricardo Pedro

Bewertet mit 3 Sternen

Bei dieser Rezension muss ich statt einem inhaltlichen Überblick zuerst zur Erklärung meiner Bewertung etwas literaturtheoretisch ausholen. Das Kennzeichen eines Romans ist normalerweise, dass Figuren und Ereignisse auftreten, die miteinander in Beziehung stehen, die zusammen eine Geschichte erzählen bis zu einem Schluss (oder auch einem offenen Ende) ob nun dramatisch, witzig, skuril oder traurig, jedenfalls wird ein Sinn hineingelegt, ob nun vom Autor oder vom Leser. Einen Sinn und Zusammenhang, den es im echten Leben nicht gibt.

Insofern könnte man diesen Roman als Experiment bezeichnen, der diese überlieferten Erzählstrukturen und die Erwartungshaltung des Lesers aufsprengt und somit eine neue Form schafft. Dies ist zu zwei Drittel des Textes gelungen, leider nicht im letzten Drittel.

Der Roman erzählt von einer portugiesischen Familie, vom Großvater, der als Arzt in die Provinz ging, über den Vater, der Soldat in Angola war bis zum Sohn, der eine Pianistenkarriere anstrebt.

In den ersten zwei Drittel des Romans wird abwechselnd von diesen Figuren erzählt, dazu noch von einer großen Anzahl von Nebenfiguren, die teilweise sehr alltägliche Sachen machen, die nichts mit der eigentlichen Handlung zu tun haben. So etwas ist ja in einem Gesellschaftsroman Gang und Gäbe, dass die Gesellschaft als Ganzes abgebildet werden soll und somit natürlich viele verschiedene Figuren auftreten müssen, um dies zu verdeutlichen. Am Anfang gelingt das super: während der Freund des Arztes verschwunden ist und von den Dorfbewohnern gesucht wird, wird die Nelkenrevolution in Lissabon vorangetrieben und der Präsident verhaftet. Beide Geschichten werden ineinander/parallel beschrieben und haben mir sehr gefallen.

Dann bricht die Handlung aber irgendwie ein, die Alltäglichkeiten, die Nichtigkeiten und, was besonders gestört hat, die sexuellen Anspielungen und Absurditäten nehmen Überhand. Dadurch verliert der Leser den eh schon recht schwierig zu findenden roten Faden.

Was dann aber das Ganze abrunden sollte, das letzte Drittel und der Schluss, da misslingt es einfach, meiner Meinung nach. Es wird plötzlich fast krampfartig nach dem im ersten Abschnitt meiner Rezension ausgeführten Sinn/Bedeutung gesucht und gefunden, auf eine absurde und abgeschmackte Weise (die ich hier wegen Spoileralarm nicht erwähne). Jedenfalls ist die Lösung weder besonders außergewöhnlich oder originell, finde ich.

Was für die Geschichte ansich gilt, gilt leider auch für den Erzählstil. Man kann es allgemein so ausdrücken, dass er stark nachlässt. Während er am Anfang und bis zur Mitte noch sehr poetisch, mit interessanten Metaphern und Satzbau gelingt, wird er immer fahriger, langweiliger und abgehackter. Man bekommt den Eindruck, als hätte der Autor zwischendurch an seiner Geschichte die Lust verloren und wolle sie einfach nur schnell hinter sich bringen.

Dabei hat der Roman wirklich Potenzial. Die Geschichte über den Großvater und besonders auch der Mutter und Vater und ihren Schicksalen, sind sehr interessant. Leider werden gerade diese interessanten Erzählstränge nicht weit genug ausgeführt. Die Erzählungen bleiben vage, so wie insgesamt die Stimmung des Romans.

Ich werte den Roman daher als Erzählexperiment, das am Anfang wirklich gelungen ist, sich aber zum Ende hin verläuft zu einem normalen Roman, so dass die beiden Teile nicht wirklich zueinander passen. Sehr schade und ich bin schon etwas enttäuscht, weil ich große Erwartungen an den Roman hatte, der so ho