Rezension

Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.

Berlin, 24. Juni 1922 -

Berlin, 24. Juni 1922
von Thomas Hüetlin

Bewertet mit 4 Sternen

Walter Rathenau war weder das erste noch das letzte Opfer des rechten Terrors. Auch die ersten Opfer dieses Buches - Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Mathias Erzberger  - waren es genau genommen nicht. Anhand einzelner Biografien schafft Thomas Hüetlin einen lebhaften Einblick, warum man Ende des langen 19. Jahrhunderts und dem Zusammenbruch des Kaiserreichs der Rechtsterrorismus entstanden ist: Angefangen von kulturbefreiten Kadettenschulen über den Völkermord in Namibia bis hin zu Kriegsverbrechen und der Entwertung vieler kaiserlichen Biografien nach dem ersten Weltkrieg. Der titelgebende Mord an Walther Rathenau steht dabei nicht ohne Grund im Mittelpunkt.

Seine Entwicklung vom Unterstützer und Profiteur des Kaiserreichs hin zum Protagonisten einer demokratischen Regierung steht antagonistisch zu seinen Mördern, die sich nicht mit den neuen Zeiten arrangieren konnten und wollten. Als Präsident der AEG und im Krieg für die Rohstoffversorgung zuständig, machte Rathenau den ersten Weltkrieg auf deutscher Seite erst möglich. Er unterstützte den Krieg auch dann noch, als dieser schon längst verloren war. In der Rolle des Wiederaufbauministers und Außenministers wollte er Deutschland in Europa durch wirtschaftliche Zusammenarbeit in eine friedliche Zukunft des Wohlstandes führen - eine frühe Formulierung der europäischen Union. Verhasst bei den Rechten war er dann auch nicht nur, wegen dieser antagonistischen, progressiven Ideen, sondern auch, weil er Jude war. Anders als von seinen Mördern erhofft, sorgte seine Ermordung nicht für den Zusammenbruch der Weimarer Republik, sondern stärkte diese zumindest kurzfristig. Insofern ist sein Mord dann doch eine Zäsur, denn die Weimarer Republik erkannte, dass ihre Feinde rechts sind.  

Die Darstellung ist dabei hier und da etwas schwermütig in der Formulierung. Gerade beim Hörbuch ist teilweise nicht klar, ob es ein Quellenzitat oder eine Formulierung des Autors ist. Auch gilt für die nähere Geschichte meist ein Selektionsproblem aufgrund der schieren Masse an möglichen primären und sekundären Quellen. Insgesamt sind die Wirren der frühen Republik damit allerdings literarisch eingefangen und in gewisser Weise haptisch begreifbar beim Lesen. Aufgrund dessen ist dieses Buch vor allem für Geschichtsinteressierte geeignet. Ein seichter Roman ist es zum Glück nicht.

Als Leser zieht man während der gesamten Zeit Parallelen in die Gegenwart. Und so verwundert es auch nicht, dass der Autor diese auch am Ende selbst analysiert und die Verbindung über den Mord an Walter Lübke in die heutige Zeit sucht. Wer die Gegenwart verstehen will, muss manchmal eben doch in die Vergangenheit gucken. Auch wenn Geschichte sich nicht wiederholt, so reimt sie sich doch.