Rezension

Gesellschaftsbild der 1950er Jahre in den USA

Die Telefonistin - Mrs. Dalton hört mit - Gretchen Berg

Die Telefonistin - Mrs. Dalton hört mit
von Gretchen Berg

Bewertet mit 3 Sternen

Vivian Dalton kann eine ganz schöne Nervensäge sein. Sie ist das stilisierte Bild einer neugierigen Ehefrau in den 1950er Jahren, deren größte Sorge es ist, dass immer der schöne Schein gewahrt wird – egal wie bröckelig die Fassade ist. Vivian ist „das Frollein vom Amt“ und verbindet Telefongespräche. Eigentlich ist es eine Schande, dass sie überhaupt arbeiten muss, während Betty Miller vom anderen Ende der Stadt einfach nur Ehefrau ist! Aus dem Leser unerfindlichen Gründen hat Vivian sich die besagte Betty Miller als „Vorbild“ genommen und eifert der viel besser situierten Frau nach. Natürlich nicht, ohne dabei ordentlich Gift zu versprühen. Mit einem recht oberflächlichen Blick auf das Leben der anderen Frau neidet sie dieser ihr vermeintlich besseres Leben.

Als Vivian ein Telefongespräch zu Betty Miller verbindet, lauscht sie heimlich – wie immer. Und wie das so ist („Der Lauscher an der Wand hört seine eig’ne Schand“), erfährt sie etwas, das an den Grundfesten ihrer Ehe rüttelt.

Das Wichtigste für Vivian ist nun nicht etwa – wie man vermuten könnte – herauszufinden, ob das Getratsche der Wahrheit entspricht, sondern den guten Ruf zu wahren. Und so setzt Vivian ohne Rücksicht auf Verluste so einiges in Gang, um den Imageschaden zu begrenzen. Dabei verrennt sie sich allerdings öfters in ihren eigenen Vorurteilen. Sie steigert sich regelrecht manisch in die Geschichte hinein und interpretiert zum Beispiel Versöhnungsversuche ihres Mannes als reine „Gewissensberuhigung“.

Ich muss zugeben, ich hätte mir unter diesem Buch und der Hauptfigur etwas ganz anderes vorgestellt. Eine vorwitzige Telefonistin, die mit den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten im wahrsten Sinne des Wortes die Strippen zieht und die halbe Kleinstadt verkuppelt. Oder so ähnlich. Statt dessen bekam ich eine frustrierte Ehefrau, die sich selbst ziemlich wichtig nimmt und sich einer besonderen Menschenkenntnis rühmt, während sie von einem Vorurteil ins Nächste stolpert. Kurz: ich mochte Viv nicht besonders.

Der Roman selbst dreht sich auch nicht um ihre Arbeit als Telefonistin, diese ist vielmehr nur auslösendes Moment für ein Porträt der Scheinheiligkeit in amerikanischen Familien der 1950er Jahre. Der Ehemann hat als guter Verdiener und Versorger dazustehen und die Frau als repräsentierendes, schmückendes Beiwerk, das für ein gemütliches Heim sorgt. Und wehe, die Wahrheit entsprach nicht diesem Bild – da wurde zurechtgebogen, was nur zu biegen ging…

Mich hat etwas gestört, dass die Frauen in diesem Buch ihre Rolle überhaupt nicht hinterfragen und kaum versuchen, sich zu emanzipieren. Vivian stellt trotz der Geschehnisse ihre Ehe zu keinem Zeitpunkt in Frage und auch Betty Miller negiert die Rolle ihres Vaters, der sich als (Geschäfts-)Mann nicht mit Ruhm bekleckert. Letztlich habe ich mich deshalb gefragt, was mir das Buch eigentlich sagen wollte...!? Mir war da zu wenig Entwicklung und die Erzählweise erschien mir aufgrund der verschiedenen Handlungsstränge, die erst ganz zum Schluss zusammengeführt werden, irgendwie konfus. Deshalb kann ich für dieses Gesellschaftsporträt leider „nur“ 3 Sterne vergeben.