Rezension

Großartige Bilder einer postapokalyptischen Welt

The Electric State - Simon Stålenhag

The Electric State
von Simon Stålenhag

Bewertet mit 5 Sternen

Ein  mit Drohnen geführter Krieg in den 90ern des vorigen Jahrhunderts hat Kalifornien verwüstet und Mengen schrottreifer Militärfahrzeuge hinterlassen. Da die Verkehrswege offenbar marode und durch Flüchtende verstopft sind, bewegen sich zwei Figuren auf Umwegen durch die Berge von der Mojave-Wüste Richtung Pazifik. Auch andere Bewohner sind im Aufbruch, so dass  die Hauptfiguren rechtsfreie Gegenden  zu durchqueren haben, in denen man nicht ahnen kann, was einen erwartet. Die beiden reisen durch Slums, an  riesigen verrottenden Reklametafeln und  -figuren vorbei, an Schrottfahrzeugen ohne Ende, aber auch an utopischen Wohnprojekten, in denen Menschen offensichtlich Schutz vor dem Unbekannten suchen.

Anfangs sind nur eine größere und eine kleine rundköpfige Figur zu erkennen. Der Klappentext verrät leider schon zu viel der Geschichte; denn das Rätseln, wer die beiden Figuren sein mögen, fand ich zu Beginn äußerst spannend. Die erzählende Figur gibt schließlich ihr Alter preis und ihre Beziehung zu der roboterhaften kleinen Figur, die nicht spricht, nur deutet. Die Kindheit der Erzählerin war geprägt durch die Abhängigkeit der gesamten Bevölkerung von der virtuellen Welt, die ihre Neurohelme und Datenbrillen den Menschen vorspiegelten. Wenn Gegenwart und Fiktion verschwimmen,  interessiert sich vermutlich kaum noch jemand dafür, wie Kinder aufwachsen. Schon damals waren Menschen nicht nur weggetreten in ihrer virtuellen Welt, sondern auch durch den Konsum von  Chemikalien, die sie aus den Cockpits von Flugobjekten des Militärs kratzten. Fixpunkte im Leben der Erzählerfigur waren Pflegeeltern und der Großvater. Auf schwarzen Buchseiten kommt ein weiterer Erzähler mit seinen Kriegserlebnissen zu Wort.

Neben dystopischer Gegenwart und Rückblick könnte das Logo der Datenbrillen von damals zusätzlich eine eigene Geschichte erzählen. Es prangt so hervorstechend auf Vorsatzpapier und Titelblatt des Buches, dass Stålenhags dystopischer Roman dadurch wie eine repräsentative Werbegabe des Unternehmens wirken kann.

Stålenhags dritter Roman erzählt in Text und Bildern unterschiedliche Geschichten. Auf der Beziehungsebene wollte ich die jugendliche Erzählerfigur kennenlernen, auf der Bildebene habe ich gerätselt, welches Interesse der Hersteller der Datenbrillen gehabt haben kann, willenlose Menschen gemeinsam mit Androiden in einen Krieg zu schicken. So wie Gegenwart und Erinnerungen des Erzählenden ein- und ausgeblendet werden, fließen utopische Szenarien und fotorealistische Landschaftsbilder ineinander. Als Fotografin hat mich Stålenhags Lichtführung stark beeindruckt. Großartig.