Rezension

Großartiges Debüt der Autorin!

Emilia und der Junge aus dem Meer - Annet Schaap

Emilia und der Junge aus dem Meer
von Annet Schaap

Bewertet mit 5 Sternen

Die kleine Emilia, genannt Lämpchen, lebt mit ihrem Vater Augustus zusammen im Leuchtturm. Die beiden führen ein entbehrliches, einsames Leben. Dem Vater fehlt ein halbes Bein, darum geht seit Jahren schon Emilia abends hoch, zündet das Leuchtfeuer an und morgens hoch, um es zu löschen. Den beiden fehlt vor allen Dingen eine Mutter, die auch Emilia hieß, weshalb Lämpchen zu ihrem Spitznamen gekommen ist, denn der Verlust der Mutter für Lämpchen und der Frau für Augustus ist nach wie vor groß. Zwischen Vater und Tochter gibt es keine Zuneigung, dennoch weiß Lämpchen irgendwie, dass ihr Papa sie liebt, auch wenn er ihr das nie zeigt. Darum verliert das Mädchen sich auch häufig in Tagträumen.
So auch eines Tages, als sie sich unbedingt dran erinnern wollte, dass sie dringend noch Streichhölzer kaufen muss – sie hatte es vergessen. Aber das Licht im Leuchtturm muss immer brennen, und so macht sie sich während eines aufkommenden Sturms auf zum Krämerladen, um eine Packung Streichhölzer zu kaufen. Der Sturm entfaltet sich während der Diskussion der Krämersfrau, die für Lämpchen nicht erneut anschreiben will. Durch das Eingreifen des netten Krämers kommt sie dann doch endlich weg, aber draußen tobt der Sturm nun sehr. Lämpchen schafft es gerade so heil nach Hause, die Streichhölzer jedoch sind verloren. Und es kommt wie befürchtet: Das Licht im Turm bleibt aus und ein Schiff läuft auf den Felsen in der Bucht auf. Die Obrigkeiten machen Augustus für den Schaden verantwortlich und sperren ihn im Turm ein, damit er die Schulden abarbeitet. Lämpchen indessen wird in das gefürchtete Schwarze Haus geschickt, von dem Gerüchte besagen, dass ein Monster darin hausen soll.
Traurig lebt Lämpchen sich in dem schmuddeligen Haus ein bei Martha, die den Haushalt führt, ihrem Sohn Lennie und Nick, der sich um den Garten kümmert. Ihre Neugier treibt Lämpchen eines Tages ins Turmzimmer des Schwarzen Hauses, wo sie auf das leibhaftige Monster trifft: Einen Meerjungen. Er ist in einem bedauernswerten Zustand, weil die Bewohner des Hauses sich nicht zu ihm trauen. Edward, wie der Meerjunge heißt, stellt sich als der Sohn des Admirals vor, dem das Schwarze Haus gehört. Marthas Mann, der ihn vorher liebevoll versorgt hat, ihm Lesen und Schreiben, Geografie und vieles andere beigebracht hat, ist kurz vor Lämpchens Ankommen im Schwarzen Haus nämlich verstorben. Martha ist froh, dass Lämpchen von sich aus erklärt sich künftig um Edward, den sie zu seinem Ärgernis nur Fisch nennt, zu kümmern. Die beiden Kinder stellen fest, dass sie beide etwas gemeinsam haben, denn auch Edward hat die Mutter verloren. Die Lämpchen und Fisch werden Freunde.
Eines Tages kehrt von einer langen Seereise der Admiral nach Hause. Er bringt die neu entsandene Harmonie im Hause völlig durcheinander, was Entscheidungen nach sich zieht, die alle betreffen...

„Emilia und der Junge aus dem Meer“ war für mich wirklich eine tolle Geschichte. Es ist nicht nur eine Märchengeschichte, die an Hans Christian Andersens kleine Meerjungfrau denken lässt, sondern es sind ernste Themen in ihr verarbeitet. Unausgesprochene Liebe beherrscht viele der Charaktere, so dass sie zu einem einsamen Leben verdammt sind, weil sie sich nicht trauen ihre Zuneigung den Menschen zu bekunden, die sie innig lieben. Darum, anders zu sein, geht es. Lämpchen hat zwar eine herzliche Art, wird aber durch ihre Armut von den Dorfbewohnern ausgegrenzt und von ihrem Vater, der seinen Schmerz lieber im Schnaps ertränkt, wenig wahrgenommen; innerliche Zwiesprache mit ihrer Mutter offenbart dem Leser, wonach Lämpchen sich sehnt. Fisch wird durch den Willen seines Vaters einen normalen Jungen als Sohn zu haben, in eine Rolle gepresst, die ihn seinen meerischen Ursprung verleugnen lässt. Und Lennie, der Sohn der Haushälterin, wird durch seine geistige Zurückgebliebenheit, ständig unterschätzt, obwohl viel mehr in ihm steckt. Geselligkeit finden die Ausgestoßenen nur untereinander wie die „Freak-Show“ auf dem Jahrmarkt deutlich macht.

Ich kann mir gut vorstellen, dass gerade jüngere Leser (das Buch wird für eine Altersklasse ab 10 Jahren empfohlen) ein bisschen elterliche Begleitung gebrauchen könnten, weil es an manchen Stellen doch ein wenig melanchonisch macht. Aber auch ansonsten ist es eine sehr schöne Geschichte – und das nicht nur dadurch, dass die Rollenverteilung der Meerjungfrau einmal umgedreht wurde.
Ich hoffe, Annet Schaap schreibt auch weiterhin solche schönen Bücher! Ich werde die Autorin auf jeden Fall weiter verfolgen.