Rezension

Gut – und beklemmend

Die Außerirdischen - Doron Rabinovici

Die Außerirdischen
von Doron Rabinovici

Bewertet mit 4 Sternen

Außerirdische sind auf die Welt gekommen und scheinen die Macht übernommen zu haben. Nach anfänglicher Angst und Chaos bestimmt Optimismus die Haltung der meisten Menschen: Man erwartet den Weltfrieden, Reichtum (Ausdehnung der Wirtschaft ins All) – die Probleme der Welt scheinen gelöst zu werden.

»Kleiner Schönheitsfehler«: Es sollen weltweit Spiele stattfinden, deren Sieger reich belohnt werden – während die Verlierer einen traumhaften »Lebensabend« auf einer Insel verbringen dürfen: bevor sie geschlachtet und von den Außerirdischen verspeist werden. Ob man dazu bereit sein soll, wird allenthalben diskutiert: Dass die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Spiele (die »Champs«) freiwillig mitmachen und nicht dazu gezwungen werden, gilt vielen als Rechtfertigung, diese »Insel« der Unmenschlichkeit zu akzeptieren: die Champs, die sich – bei einer gewissen Hoffnung, zu gewinnen und davonzukommen – zum Wohle der Menschheit aufopfern, denn ohne Schlachten der Verlierer keine Außerirdischen und ohne Außerirdische kein absoluter Wohlstand und Friede.

Eine Gesellschaft also, die sich, um des Wohlstands der großen Mehrheit und der Befriedung willen, eine »Insel« (im übertragenen wie wörtlichen Sinne) der Unmenschlichkeit leistet.

Auch das (zuvor) kleine Online-Magazin, für das Sol arbeitet und dessen Mitbegründer er ist, diskutiert, wie man sich zu den Spielen stellen soll, lässt, auf Wirkung und Publicity setzend, in einer Talkshow unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen – und verdient durch den immensen Erfolg der Sendung schon an den Spielen, bevor es sie gibt.

Rabinovici beschreibt, aus dem Blickwinkel Sols, den Fortgang der Entwicklung, wie die Menschen für sich begründen, in welchem Rahmen sie an dem ganzen Aufwand um und für die Spiele teilnehmen – und sich dabei moralisch korrumpieren. Was wird geschehen, wenn es Widerstand geben sollte? Zur Disposition scheinen die Spiele nicht mehr zu stehn. Was entsteht aus dem »Konzept, das Glück der Menschheit auf die Verneinung des Menschen, auf die Auslöschung des Menschlichen zu gründen« (S. 254)? Nicht wohl ist mir dabei, wie Rabinovici bei der Beschreibung der Entwicklung geschehene Geschichte in seine Fiktion übernimmt –auf der anderen Seite packt er seine Leser, wenn er die Schicksale seiner Figuren in dieser Situation beschreibt.

Ingesamt ist der Roman ein Lehrstück, wie sich Menschen anpassen und verändern und wie sich eine Gesellschaft ändert, wenn der Unmenschlichkeit Raum gegeben wird. Ein gutes und zugleich sehr beklemmendes Buch.

Zum Abschluss möchte ich einen Blick auf unsere Gesellschaft(en) werfen: Eine »Insel der Unmenschlichkeit«, also einen Bereich, in dem bei offiziellem Hochhalten der Humanität Unmenschlichkeit geduldet oder »gepflegt« wird, scheint es in unseren auf die westlichen Werte setzenden Gesellschaften nicht zu geben: Aber wir haben einen solchen Bereich – nach außen verlagert: In Bezug auf Flüchtlinge wird die Menschlichkeit wie selbstverständlich außer Kraft gesetzt. Es wird akzeptiert, dass sie unter nicht menschlichen Bedingungen in Lagern leben, auf der Flucht ertrinken. Unsere Politiker haben (als es noch Themen außer »Corona« gab), konzentriert in Richtung rechts-konservative Seite des demokratischen Spektrums, vertreten, wenn man diese Unmenschlichkeit (sie nannten es nicht so) nicht akzeptiere, stärke man die völkischen Gruppierungen wie AfD, Pegida, den Rechtsextremismus (man denke an Seehofer, an Söder vor der bayrischen Landtagswahl und andere, an die unwürdigen Kämpfe, wie viele, d. h. wenige, Menschen man aus den griechischen Lagern nach Deutschland holen könne).

Nach Lektüre der »Außerirdischen« frage ich mich: Was, wenn es sich umgekehrt verhält? Wenn das Teilen der Menschlichkeit (dort gilt es, da aber nicht) für Gruppierungen wie AfD, Pegida, Rechtsextremisten Räume schafft, in denen sie sich entwickeln, Menschen für ein Aussetzen von Humanität nach völkischen Kriterien gewinnen können?

Kommentare

Emswashed kommentierte am 02. März 2023 um 17:09

Dein Bezug zu den Flüchtlingen finde ich interessant und bedenkenswert.