Rezension

Gute Gesellschaftsanalyse aber zu wenig Nimmerland

Wendy, Darling – Dunkles Nimmerland (mit gestaltetem Farbschnitt) -

Wendy, Darling – Dunkles Nimmerland (mit gestaltetem Farbschnitt)
von A. C. Wise

Bewertet mit 3 Sternen

Gute Gesellschaftsanalyse aber zu wenig Nimmerland

Was geschah mit Wendy nachdem sie Nimmerland verlassen hatte?
Das Märchen vom Jungen, der nie erwachsen werden will, müsste eigentlich jedem bekannt sein. Mit Peter Pan konnte ich noch nie wirklich etwas anfangen. Selbst als Kind empfand ich ihn als überheblich und gemein. Wendy dagegen gehörte für mich eher immer zu den unterschätzten Charakteren. Deshalb bin ich großer Fan von Neuerzählungen altbekannter Geschichten meiner Kindheit geworden.
Wendy ist mittlerweile erwachsen geworden und hat sich eine eigene Familie aufgebaut. Eines Tages taucht plötzlich Peter Pan auf, um seine Wendy zu holen. Da aber Wendys Erwachsensein nicht in sein Weltbild passt, entführt er stattdessen ihre Tochter Jane. Wild entschlossen sie zu retten, folgt Wendy den beiden nach Nimmerland. Doch Nimmerland ist nicht mehr das Land das sie einst verzauberte. Es ist bedrohlicher denn je und zwingt Wendy sich den Schatten ihrer Vergangenheit zu stellen. Denn nicht nur Nimmerland hat sie sehr geprägt. Auch die Zeit, in der Wendy lebt wird stark beleuchtet. Die Frauen der damaligen Zeit waren mehr oder weniger ein nettes Beiwerk statt gleichberechtigte Menschen. Und Frauen mit eigenem Willen eher ungewollt. Dies musste Wendy am eigenen Leib spüren. Bis zu einem gewissen Punkt konnte ich Wendys Verhalten auch noch nachvollziehen und war wütend auf die Männer in ihrem Umfeld  aber irgendwann wurde es echt anstrengend.
Die Geschichte spielt auf mehreren Ebenen. Zum einen wechselt der Erzähler zwischen Wendy und Jane. Zusätzlich springt die Geschichte des Öfteren in die Zeit zurück, als Wendy in der Nervenheilanstalt verweilte. Selten waren ihre Rückblicke auf Nimmerland. Wendys  Geschichte nach Nimmerland zu erzählen, begeisterte mich sofort, nur leider war es für mich keine runde Sache. Für mich war es in der Gesamtheit einfach zu wenig Nimmerland. Auch gab es für mich nicht wirklich neue Aspekte über Peter und sein Nimmerland. Einzig die Erklärung um Peters Schatten konnte mich begeistern. Mir ist bewusst, dass der Fokus auf Wendy und ihr mögliches Leben nach Nimmerland liegen sollte, doch funktionierte dies für mich nicht ganz. Aus meiner Sicht hätte es entweder das Eine oder das Andere sein müssen. Also entweder Wendys Leben nach Nimmerland oder nur die Rettung ihrer Tochter. So wirklich kam für mich auch kein richtiger Spannungsbogen auf. Und war er dann mal da, flachte er ziemlich schnell wieder ab.
Wendys innere Zerrissenheit Peter und Nimmerland gegenüber konnte ich sehr gut nachempfinden. Manchmal ist das, was man liebt auch gleichzeitig  die Sache, die man am meisten hassen kann. Doch bei Wendy hat diese augenscheinliche Hassliebe viel tiefere Gründe. Der Schreibstil war relativ flüssig und sehr bildhaft. Dadurch konnte ich mir vor allem Nimmerland sehr gut vorstellen. Die Bedrohlichkeit der Umgebung kam sehr gut rüber. Leider gab es viele Wiederholungen, die mich doch mit der Zeit nervten. Es gab einfach zu viele hätte, wäre und wenns.
Für mich bleibt aber bis zum Schluss die Frage offen, wie Wendy mit ihren Brüdern aus Nimmerland fliehen konnte. Auch hätte ich gern gewusst, was aus Nimmerland wurde, nachdem Wendy mit ihrer Tochter abermals floh.
Es war eine nette Geschichte, um mal wieder nach Nimmerland zu reisen, doch gibt es in meinen Augen bessere Retellings.