Rezension

"Hannes" von Rita Falk

Hannes - Rita Falk

Hannes
von Rita Falk

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt
Uli und Hannes sind beste Freunde und das schon immer. Zusammen sind sie in Bayern aufgewachsen, haben gemeinsam die Schulbank gedrückt, haben sich durch dick und dünn und durch gute wie durch schlechte Zeiten begleitet. Und beide lieben sie ihre Motorräder. So ist es nicht verwunderlich, dass die beiden sich auf die Bikes schwingen, sobald der erste Sonnenstrahl des Jahres durchbricht. Doch dann passiert das Unfassbare: Hannes stürzt und verletzt sich schwer.
Er überlebt den Unfall zwar, liegt aber fortan im Koma und Uli muss erst einmal damit zurecht kommen, dass sein bester Freund plötzlich nicht mehr für ihn da ist. Und nicht nur für Uli ist der Unfall ein tragisches Ereignis. Auch Hannes Eltern kommen mit dem Schicksalsschlag mehr schlecht als recht klar. Und Hannes Freundin Nele hat sich nach dem Unfall vom gemeinsamen Kumpel Kalle trösten lassen. Jetzt ist sie schwanger und weiß nicht, ob Kalle oder doch der im Koma liegende Hannes der Vater des Kindes ist.
Uli gibt die Hoffnung, dass Hannes bald wieder aufwacht und der Alte wird, nicht auf. Und damit Hannes dann auch weiß, was in seiner komatösen Zeit passiert ist und auch, damit Uli weiterhin seine Probleme mit Hannes besprechen kann, beginnt er, Briefe an seinen besten Freund zu schreiben...
Meine Meinung
Wow, dieses Buch hat mich total unvorbereitet gepackt und nicht mehr losgelassen. Erst diese Woche habe ich Funkenflieger von Rita Falk fertig gelesen und war total überrascht, wie gut die Autorin auch ernsthafte Themen behandeln kann. Doch Hannes ist nochmal eine ganz andere Hausnummer. Obwohl mich schon Funkenflieger total berührt hat, hatte ich dieses Mal noch viel intensivere Gefühle beim Lesen

Das Buch besteht aus Briefen, die Uli an seinen besten Freund Hannes schreibt. In seinem allerersten, gleich am Anfang des Buches, spricht Uli von einem Jahrestag, ohne, dass direkt ersichtlich ist, was eigentlich passiert ist. Doch schon nach kurzer Zeit werden die Hintergründe dieser Briefe ersichtlich. Uli schreibt Briefe für Hannes, der seit einem schweren Motorradunfall im Koma liegt. Und da Uli fest davon überzeugt ist, dass Hannes über kurz oder lang wieder aufwacht, erzählt er in seinen Briefen, was in der Zwischenzeit passiert. Das war schon der erste Moment, in dem ich heftig schlucken musste. Denn durch das Buch wurde mir erst richtig klar, wie belastend es für eine Familie und Freunde sein kann, wenn ein junger Mensch aus ihrer Mitte gerissen wird. Doch vorliegend ist es noch viel schlimmer: denn Hannes ist nicht tot, sondern liegt im Koma. Wirklich leben tut er aber auch nicht. Und obwohl es immer schlimm ist, wenn ein junger Mensch stirbt, so hat es doch etwas endgültiges, mit dem die Angehörigen umzugehen versuchen müssen. Doch anhand Ulis Briefen wird klar, wieviel schwerer es manchmal sein kann, wenn man in einem Schwebezustand hängt, in dem weder Hoffnung noch Abschiednehmen wirklich ein Thema ist.

Zentraler Charakter ist zunächst mal Uli selbst. Schnell taucht man in seine Gefühlswelt ein und wird nicht mehr losgelassen. Uli ist ein herzensguter Mensch und ich kann ihn nur bewundern für seinen immer ungebrochenen Willen, Hannes nicht aufzugeben. Doch trotz seiner Hoffnung und seinem Optimismus zeigt Rita Falk auch seine Schwächen auf und Situationen, in denen selbst Uli nicht mehr ein noch aus weiß. Sie schafft es, Uli als einen herzensguten Menschen darzustellen, ohne ihn zu einer neuen Mutter Theresa zu befördern. In seiner Verzweiflung krallt er sich auch gerne mal den Chefarzt oder  tickt sonst mal aus. Durch den Umstand, dass die Briefe von ihm geschrieben werden und er dabei ganz offen ist (wie er es eben auch zu seinem besten Freund wäre), bekommt man als Leser einen unvergleichlichen Einblick in sein Gefühlsleben.
Er ist nicht nur traurig, seinen besten Freund verloren zu haben, sondern auch wütend. Wütend auf sich, auf die Welt und vor allem auch auf Hannes. In einer Minuten ist er voller Zuversicht, seinen besten Freund wiederzubekommen, im nächsten Moment versinkt er in seiner tiefen Traurigkeit. Ich konnte seine Gefühle so gut nachvollziehen, so dass ich von der Geschichte absolut gefangen war und selbst zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt geschwankt habe.

Zur Zeit der Handlung absolviert Uli sein Zivi-Jahr im "Vogelnest", einer Einrichtung für psychisch labile Menschen. Auch dieser Teil seines Lebens spielt eine große Rolle im Buch. Doch obwohl es sich dabei nur um einen Nebenschauplatz handelt, war auch dieser Teil des Buches total fesselnd erzählt. Dabei spielt die Heimleiterin Walrika eine nicht unbedeutende Rolle, da sie für Uli eine Stütze darstellt, ohne die dieser wahrscheinlich des öfteren mal zusammenbrechen würde. Und irgendwie habe ich mit einer solchen resoluten Person auch gerechnet, denn irgendwie gehören diese einfach dazu bei Büchern von Rita Falk.  In den Eberhofer-Krimis ist es die Oma, bei Funkenflieger die Annemarie und hier jetzt also die Walrika. Diese Frauen spielen in Rita Falks Bücher eine nicht unbedeutende Rolle, ohne dass sie sich in den Vordergrund drängen, doch trotzdem sind sie unverzichtbar. Und irgendwie gefällt mir diese Konstante.
Ebenfalls dargestellt wird, inwieweit ein solcher Schicksalsschlag auch die Familie eines Opfers belastet, wie eine Ehe daran kaputt gehen kann, wie jeder anders mit seinem Schmerz umgeht. Es werden so unglaublich viele Facetten der Trauerbewältigung dargestellt, dass es mir einfach nurden größten Respekt abverlangt.

Der Verlauf der Geschichte weist Höhen und Tiefen auf und jedes Mal leidet der Leser mit den Protagonisten zusammen. Hannes Gesundheitszustand schwankt immer wieder. Mal steht sein Leben wegen einer Lungenentzündung auf dem Spiel und dann plötzlich macht er die Augen auf und reagiert auf Stimmen. Ich als Leser habe mich gefühlt, als würde ich gemeinsam mit Uli am Krankenbett sitzen und habe seine Gefühle nicht nur nachvollzogen, sondern habe sie auch selbst gespürt. Als ich das Ende des Buches gelesen habe, standen mir die Tränen in den Augen und ich kann mich nicht erinnern, wann mich ein Buch das letzte Mal so sehr mitgenommen hat

Rita Falks Buch befasst sich mit Tod, Trauer, Freundschaft, Liebe und das alles auf gerade mal 208 Seiten. Und obwohl das Thema des Buches nicht gerade leichte Kost ist und es den Leser auch an vielen Stellen traurig stimmt, ist es auch witzig und leicht. Uli erzählt immer wieder auch Anektoden aus der Vergangenheit, weswegen ich auch von Hannes ein gutes Bild bekommen habe, obwohl es durch sein Koma ja eher eine passive Rolle spielt.
Am liebsten würde ich dieses Buch jedem Motorradfahrer in die Hand drücken, die gerade jetzt, wenn es auf den Sommer zugeht, vielleicht doch hier und da sehr leichtsinnig unterwegs sind. Allein hier in meiner Umgebung gab es zu diesem Zeitpunkt (1.Mai) bereits drei Tote bei einem Motorradunfall. Doch wer dieses Buch liest und vor Augen gehalten bekommt, welche Auswirkungen ein solcher Schicksalsschlag haben kann, überlegt sich bei der nächsten Tour bestimmt zweimal, wie sehr er auf's Gas tritt.
Mein Fazit
Hannes ist ein unglaubliches Buch, das bei mir persönlich unglaubliche Gefühlsregungen ausgelöst hat. Obwohl mit schon Funkenflieger gut gefallen hat und mich total berührt hat, war das kein Vergleich zu dieser Geschichte. Emotional, berührend, einnehmend... All das ist dieses Buch und noch viel mehr. Obwohl das Thema bestimmt nichts ist, um es mal so kurz zwischendurch zu lesen, kann ich es wirklich jedem ans Herz legen. Mir wird die Geschichte um Uli und Hannes noch lange im Gedächnis bleiben.