Rezension

Hanseatische Perle

Verliebt in Hamburg - Nina George

Verliebt in Hamburg
von Nina George

Mein Blick fällt auf den Kalender: es ist der 18. November 2013. Mit einem tiefen Seufzen zähle ich die vergangenen Tage und zähle mit Erschrecken 673 Tage. 673 Tage ohne durch hanseatische Prisen zerzauste Haare, den zimtigen Duft frisch aufgebackener Franzbrötchen, das gluckernde Vorbeischippern alter Kräne, das Klatschen der Wellen an den Landungsbrücken, die sehnsuchtsvollen Laute von Signalhörnern im Hafen, den Duft von Freiheit und ohne mein geliebtes Planten un Blomen. Ohne multikulturelle Zuwanderer und hanseatisch zurückhaltende Hamburger Urgesteine, ohne Sonnenbaden im Beach Club, die Stimmen der Marktschreier auf dem Fischmarkt und ohne das Barhopping in stets charmanter Begleitung eines Astras.

Ja, das ist Hamburg. Das Tor zur Welt.

Sehnsucht macht sich breit. Ganz unbewusst stimme ich mir wohlbekannte Klänge an: “Hamburg, meine Perle, du wunderschöne Stadt, bist mein Zuhaus, du bist mein Leben. Du bist die Stadt, auf die ich kann…”

Für alle, die mich nicht kennen, gestatten – ich bin die süddeutsche Dorfpflanze, die 2006 zu norddeutschem Gewächs wurde und nach 5 Jahren bei den eigenartigen aber lieben “Fischköppen” wieder zurück ins heimische Gewässer schwamm. Nicht, weil ich Hamburg nicht mehr sehen konnte sondern vielmehr, weil mir die Nähe zu meiner Familie und den engen Freunden hier im Süden noch wichtiger geworden ist. Ein Umzug war somit unausweichlich und München wurde zu meiner neuen Heimat.

Doch wer glaubt, dass ich Hamburg JE den Rücken zuwenden kann, der irrt sich gewaltig. Hamburg wird immer ein Teil von mir bleiben – ein bisschen Heimat, ein bisschen Leben und nun auch ein bisschen Zufluchtsort für die Kurzurlaube im Jahr. Und für all die Tage dazwischen, in denen meine Sehnsucht nach ihr wächst, lese ich Bücher, die sich mit Hamburg beschäftigen und folgendes hat sich einen besonders großen Platz in meinem Herzen ergattert…

Ganz Hamburg ist ein Parfum. Würde man es auf Flaschen ziehen und in die Welt verkaufen, würden sich Menschen in diese Stadt verlieben, ohne sie je gesehen zu haben. (…) Fernweh und Zuhause, Wasser und Lebenssüße. Geborgenheit und Freiheit, Verlässlichkeit und Liberalität, ein bisschen Grandseigneur, ein bisschen sexy Deern. Balkonblume und Grillabend, Kirschblüten und Zeitungspapier, Kaffee, Kinderlachen, Franzbrötchen und vom Morgenregen geklärte Luft über den Alsterwiesen. Ja. So riecht Hamburg.

Seite 16/17

Dieses Buch ist ein wahrer Schatz. Es ist Nina Georges Liebeserklärung an Hamburg. Die Liebeserklärung einer Autorin, die selbst weder in Hamburg geboren noch aufgewachsen ist. Sie ist ein Quiddje. Eine Hamburgerin aus Überzeugung. Ein Mensch, der die Stadt mit allen Sinnen aufnimmt und sie von ganzen Herzen liebt. Eine wie ich, nur mit dem Unterschied, dass sie noch heute dort wohnt.

Vor dem Lesen ihres Romans Das Lavendelzimmer war sie mir zugegebener Maßen kein wirklicher Begriff. Erst spät bemerkte ich, dass ihr Roman Die Mondspielerin schon lange in meinem Bücherregal darauf wartet, zum Zug  zu kommen und dann unausweichlich auf die Spitze meines SuB´s gewandert ist (Stapel ungelesener Bücher). Selten habe ich die Zeilen einer Schriftstellerin so genossen wie ihre. Eine gelungene Mischung aus Aufrichtigkeit, Ironie und Lebensfreude. Beginnt man einen ihrer Sätze zu lesen, findet man sich schon bald am Ende des Buches wieder. Kaum hat man das Buch zu Ende gelesen, brennt man auf das Nächste. Die Dame macht für meinen Geschmack alles richtig. Sie transportiert so ungeheuer viel Liebe und Leidenschaft in all die Dinge, die sie schreibt oder ausspricht, dass man wirklich neidisch wird. Kann man das lernen?

So nimmt sie den Leser auf lange Spaziergänge mit. Auf Fußmärsche und Cabriolet-Fahrten, auf Bus- und Bootstouren. Jene, die dir nicht nur die wohlbekannten Plätze wieMichel, Reeperbahn oder Fischmarkt zeigen, sondern sich auch in der Pampa, fernab von Touri-Grüppchen, abspielen. Sie konfrontiert dich mit Klischees und hanseatischen Wahrheiten, zeigt dir To-dos and -don´ts für Touristen oder Zugezogene. Sie belächelt das extrovertierte Verhalten mancher Großstädter, definiert die Ruhe der Pendler am Morgen oder versucht uns ein bisschen mehr Toleranz für die fragwürdigen Kandidaten nahezubringen.

Das Schweigen unter unserer Stadt am Morgen ist greifbar wie ein schlafwarmes Kissen. Es ist intim, es erzählt, wie Hamburg sich fühlt. (…) Es ist dieser schweigende Strom des Untergrunds, der den neuen Puls der Stadt freilegt wie ein offenes Herz. Schweigen lügt nie, man muss es nur hören wollen.

Seite 12/13

Plötzlich lernt man Hamburg von einer ganz anderen Seite kennen. George benutzt dabei nicht nur die lebendige Beschreibung von Impressionen sondern auch von Gerüchen und Empfindungen. Plötzlich fühlt man sich den schwappenden Wellen der Elbe so nah, spürt den zugigen Wind in den Haaren, riecht die zahlreichen Gewürze der Speicherstadt, den Duft frischverpackten Kaffees oder den zimtigen Duft von Franzbrötchen. Als wäre dieses Buch in der Lage, dich für eine Weile dort abzusetzen: im Treppenviertel von Blankenese; am Elbstrand; in der Strandperle, dem Alles-ist-gut-Platz in Övelgönne, in einem Boot auf der Binnenalster oder in einem Hummelstuhl im Stadtpark.

Jeder hat einen geheimen Platz, an dem er fast mehr zu Hause ist als daheim. Ihn zu teilen heißt, die Adresse der Seele zu offenbaren.

Seite 49

Man weiß fortan, welche Plätze man meiden muss, wenn man nicht mit Tim Mälzer oder Udo Lindenberg zusammenstoßen möchte und welcher Menschenschlag amSchulterblatt, der Roten Flora oder Hamburger Berg rumhängt. Wo welches Wahrzeichen steht, welche Skulpturen täglich auf Passanten herabblicken und wo ich sie finde – die Oasen der Ruhe – die es natürlich auch in einer Weltstadt wie Hamburg gibt. Einer Stadt, die nie schläft.

So sei dieses Buch jenen nahegelegt, die die Stadt noch nicht kennen und kennenlernen wollen. Den Zugezogenen, Ortsfremden und Ur-Hamburgern gleicher Maßen. Denn was gibt es Schöneres, als einen Ort durch neue Blickwinkel kennen und lieben zu lernen?!