Rezension

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Hat meinen Geschmack nicht getroffen

Songbird - Anna Rosina Fischer

Songbird
von Anna Rosina Fischer

Bewertet mit 3 Sternen

Inhalt

Sam und Ella kennen sich schon, seitdem sie denken kann. Als bester Freund von Ellas Bruder sind sie quasi miteinander aufgewachsen. Dass sie für ihn weitaus mehr empfindet als freundschaftliche Zuneigung, stellt sie zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt fest: Sam hat gerade sein Referendariat an Ellas Schule begonnen. Als ihr neuer Lehrer kommt eine Beziehung überhaupt nicht infrage - und doch kommt sie gegen ihre Gefühle einfach nicht an. Dass er genauso empfindet wie sie, macht die Situation nur noch komplizierter. Für Ella dreht sich alles nur noch um Sam, alles andere erscheint unwichtig - so unwichtig, dass sie ihre eigene Gesundheit aufs Spiel setzt.

Meine Meinung

Die Inhaltsangabe von "Songbird" hat mich extrem neugierig gemacht, da sie mich vermuten ließ, dass mir diese Geschichte unter die Haut gehen würde. Das ist sie auch - allerdings auf gänzlich andere Weise, als ich es mir gewünscht hätte. Die Handlung hat mich nämlich - so leid es mir tut - aus diversen Gründen mehrfach maßlos aufgeregt.
Grund Nummer 1 ist die Liebesgeschichte, die mich nicht unbedingt vom Hocker gerissen hat. Zum Teil deshalb, weil mir die Beziehung zwischen Ella und Sam ein bisschen zu schnell ging. Nach nicht einmal einem Viertel des Romans war zwischen Ella und Sam fast schon alles Wesentliche passiert. Hätte ich den Klappentext nicht gelesen, dann hätte sich mir wohl die Frage gestellt, was denn jetzt bitte noch geschehen sollte - schließlich waren Sam und Ella augenscheinlich bereits am Ziel angekommen. Zugutehalten muss ich den beiden, dass sie in Bezug auf ihre Gefühle nicht allzu begriffsstutzig waren. Ihnen war sehr schnell klar, dass sie etwas füreinander empfinden - das etwas alberne, anstrengende Hin und Her bleibt dem Leser/der Leserin aber trotzdem nicht erspart. Erst verkünden sie, dass sie auf Abstand gehen sollten, um Sams beginnende Lehrerkarriere nicht zu gefährden (oder welch anderer Grund auch immer ihnen gerade eingefallen ist), nur um sich keine zwei Absätze später wieder knutschend in den Armen zu liegen. Ernst gemeinte Versuche sehen anders aus. Diese Inkonsequenz hat - zusätzlich zu den kitschigen Liebesbekundungen, von denen ich kein wirklicher Fan bin - an meinen Nerven gezehrt. Aber gut, das ist bei Liebesromanen nun mal nicht unüblich, weshalb ich damit hätte rechnen müssen.
Was ich nun aber wirklich absolut nicht nachvollziehen konnte, waren Ellas Abhängigkeit von Sam und ihre unerträgliche Unsicherheit. Gerade noch hat Sam ihr seine Liebe gestanden, aber kaum sagt er, dass sie vernünftigerweise auf Abstand gehen sollten, ist sie der felsenfesten Überzeugung, er würde sich nicht für sie interessieren. In solchen Momenten dachte ich mir nur: Leidet sie unter so herbem Gedächtnisverlust? War sie gerade eben nicht dabei? Hat sie ihm nicht zugehört? Warum glaubt sie so etwas?
Es tut mir wirklich leid, dass ich hier so harsch werde. Ich bin mir sicher, da draußen gibt es hunderte, wenn nicht gar tausende Leser/innen, die vor Verzückung laut seufzen, dahinschmelzen und schmachten werden, wenn sie diese Liebesgeschichte mitverfolgen. Aber ich gehöre nicht zu dieser Gruppe. Ich bevorzuge eigenständige Charaktere, die mir nicht permanent das Gefühl vermitteln, sie können ohne einander nicht existieren. Ich hätte es besser ertragen können, wenn ihr Miteinander ein bisschen mehr Biss gehabt hätte, vielleicht durch mehr Wortgefechte und (lieb gemeinte) Sticheleien. Vereinzelt gab es die, aber für mich persönlich einfach nicht genug.
Zudem haben sich Ella und Sam Probleme gemacht, wo keine waren, und da, wo wirklich Konfliktpunkte waren, ist die Autorin meiner Meinung nach etwas zu oberflächlich vorgegangen. (Vorsicht Spoiler!) Es wird relativ schnell offensichtlich, dass Ella an Anorexie leidet. Sie isst kaum was, wird immer dünner, wendet diverse Ablenkungsstrategien an, um nichts essen zu müssen - die ganze Palette. Im Klappentext wurde bereits angeteasert, dass sie ihr eigenes Leben riskiert. Was auch immer ich dabei erwartet hatte - das war es jedenfalls nicht. Von diesem Turn war ich zunächst positiv überrascht (sofern man das bei einem solchen Thema überhaupt sagen kann). Essstörungen werden einfach noch zu selten in literarischen Werken thematisiert. Gewichtsprobleme sind Gang und Gebe, aber die Subformen der psychomatischen Erkrankung stehen selten im Fokus. Und doch war ich nicht recht zufrieden mit der Art der Darstellung. Zum Beispiel habe ich es als störend empfunden, dass es keinen offensichtlichen Grund gibt, warum sich Ella allmählich zu Tode hungert: Niemand mobbt sie, sie wird geliebt, hat sogar gerade endlich ihren Traummann gefunden – da müsste sie doch am Leben bleiben wollen (wobei ich zugeben muss, dass Anorexie-Kranken oft nicht klar ist, dass sie das Hungern zu ihrem Tod führen wird). Auch das Ende konnte kein Licht ins Dunkel bringen. Ich will nicht sagen, dass es immer einen einzigen Grund oder Auslöser für eine Essstörung gibt. Manchmal ist es auch ein Zusammenspiel mehrerer, nicht klar definierbarer Faktoren. Aber wenn man sie dann in einen Roman einarbeitet, dann sollte man die physischen Begleiterscheinungen - das ständige Frieren, die Erschöpfung, der kollabierende Kreislauf usw. - sowie die psychische Belastung besser bzw. mehr ausloten. All das erschien mir im Vergleich zu Ellas Liebeskarussell eher beiläufig bzw. zu selten erwähnt. Das heißt keineswegs, dass sich die Autorin dem Thema nicht auf ernsthafte Weise angenähert hätte, nur stand es nicht weit genug im Vordergrund, um die Tragik und Tragweite der Erkrankung in vollem Umfang begreiflich zu machen. Man kann hier argumentieren, dass es zum Teil dem Verdrängungsmechanismus der Ich-Erzählerin zuzuschreiben ist: Sie meidet das Thema Essen in jeglicher Hinsicht. Aber dann hätte zumindest ihr Umfeld stärker eingreifen müssen. Eine ähnliche Meinung habe ich auch zu Sams Konflikt mit seinem Vater: Er war mir viel zu unzureichend dargestellt. (Spoiler Ende)
Die oben genannten Punkte sind keine Kritik an Fischers schriftstellerischen Fähigkeiten - Formulieren kann sie nämlich gut. Sie und ich schätzen nur scheinbar recht unterschiedliche Charaktereigenschaften und teilen nicht ganz dieselben Romantikpräferenzen.

Mein Fazit

"Songbird" ist eine Liebesgeschichte, die sicherlich viele Aspekte vereint, nach denen viele Leser/innen suchen: intensive Gefühle, leidenschaftliche Szenen, größere und kleinere Hürden und jede Menge Liebesbeteuerungen. Die Geschichte war nur leider nicht das, wonach ich gesucht habe. Die Protagonistin Ella hatte einige Charaktereigenschaften, die ich persönlich nicht sonderlich schätze, und in puncto Romantik bin ich einfach der Meinung, dass weniger mehr ist. In meinen Augen war Ellas Problem der interessantere Part und hätte mehr Raum einnehmen sollen.

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