Rezension

Heimatlos

Hannah und Ludwig -

Hannah und Ludwig
von Rafael Seligmann

'Heimatlos in Tel Aviv' lautet der Untertitel des 2. Bandes der Familiengeschichte um die Eltern von Rafael Seligmann. Dessen Vater Ludwig floh 1933 mit seinem Bruder aus Nazi-Deutschland nach Tel Aviv, um dort für sich und seine Familie ein neues Leben aufzubauen und eine Heimat zu finden. 

Rafael Seligmann erzählt, wie Ludwig sich mit harter Arbeit (und ohne Sprachkenntnisse) ein Leben in Israel aufbaut, wie er dafür sorgt, auch seine Eltern und Geschwister aus Deutschland zu holen und wie er schließlich Hannah, Rafaels Mutter, kennenlernt und eine Familie mit ihr gründet. 

Aber auch, wenn sich der Untertitel auf die neu gewählte Heimat bezieht, nach der Lektüre ist mehr als klar, dass die Heimatlosigkeit der deutschen Juden - der Juden im Allgemeinen - viel umfassender und vielschichtiger ist. Natürlich ist Ludwigs Heimat, die seines Bruders, seiner Eltern 'eigentlich' Deutschland. Dort ist er geboren und aufgewachsen, dort hat er studiert und gearbeitet. Doch die Heimat, der Staat, die Mitbürger, Nachbarn und Freunde wandten sich gegen ihn und seine Glaubensbrüder und sie wurden vertrieben. Man verschloss die Türen und die Herzen, so dass Ludwig - Gott sei Dank früh genug - in die vermeintlich neue/alte Heimat - den noch zu gründenden Staat Israel, das 'Gelobte Land' floh. Dort kommt er so lange gut zurecht, wie er einen deutsch-sprechenden, wohlwollenden Chef hat, der dafür sorgt, dass Ludwig das landestypische Ivrit gar nicht zu lernen braucht. Letztlich bleibt er so aber auf immer sprachlich distanziert von seinen neuen Mitmenschen, und auch die Mentalität dringt nie zu ihm durch, sein Charakter und seine moralischen Überzeugungen bleiben 'anders'. Dass politisch der jüdische Staat Israel erst während der Handlung des Buches gegründet wird, gibt dem Konzept 'Heimatlosigkeit' noch einen zusätzlichen, nicht nur ideellen, sondern gar juristischen und geografischen Hintergrund. 

Der Leser erfährt in dieser Lektüre die deutsch-jüdische Geschichte mal aus einem neuen Blickwinkel. Die Grauen des zweiten Weltkrieges in Deutschland und für die deutschen Juden werden einem hier mit einer zwangsläufigen Distanz vermittelt und die politischen Wirren im vermeintlichen 'sicheren Hafen' der neuen Heimat führen das Grauen auch nach dem Entkommen aus Deutschland fort. 

'Hannah und Ludwig' war für mich daher eine interessante Ergänzung historischer und politischer Fakten zu den vielen Kriegs- und Nachkriegsgeschichten, die ich bisher kannte. 

Darüber hinaus ist die Familiengeschichte von Rafael Seligmann aber auch Biografie. Ohne Zurückhaltung beschreibt der Autor die Geschichte seiner Eltern, ihre Gefühle füreinander, ihre persönlichen Sorgen, ihre Probleme. Inwieweit das Beschriebene auf Erzählungen seiner Eltern beruht und den Tatsachen entspricht, weiß man leider nicht. Es wirkt etwas befremdlich, wenn ein Sohn den Eltern einerseits mit diesem Werk ein Denkmal setzt, sie anderseits schonungslos mit all ihren Verfehlungen der Kritik des Lesers preisgibt. Teilweise wirkte das Ganze auf mich zu persönlich, wenn ich bedachte, dass ein Sohn hier über seine Eltern schreibt. Hätte ich solche Fakten über meine Eltern, ihre Beziehung untereinander und mir gegenüber selbst wissen wollen? Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich es auf diese Weise der Welt erzählen wollen? Noch dazu wählt der Autor zu jeder Zeit die Ich-Perspektive und spricht so mit der Stimme seines Vaters und seiner Mutter, was auch den letzten Rest Distanz zunichte macht. 

Manchmal schadet es, zu wissen, dass es sich bei einer Lektüre um eine Biografie und nicht Fiktion handelt, auch wenn natürlich jede Geschichte ein Recht hat, erzählt zu werden. Die Frage ist, welche Aspekte für welches Publikum geeignet sind und ob man dabei Grenzen überschreiten kann. 

Hinsichtlich der politisch-historischen Fakten und auch des gewählten Blickwinkels war das Buch für mich eine hochinteressante Lektüre. In anderer Hinsicht jedoch fühlte ich mich für die persönlichen Einblicke nicht immer als der geeignete Adressat.