Rezension

Historisch authentisch und humorvoll

Das wahre Motiv -

Das wahre Motiv
von Uta Seeburg

Bewertet mit 5 Sternen

REZENSION – Ein Serienmörder schlägt im Fasching des Jahres 1895 im Münchner Künstlerviertel zu. Ausgerechnet der preußische Reserveoffizier Wilhelm Freiherr von Gryszinski, der mit Kunst und Künstlern nur wenig anfangen kann, wird vom Münchner Polizeidirektor Ludwig von Welser (1841-1931) mit der Ermittlung beauftragt. Doch der junge Kriminalist, den der Polizeidirektor erst vor eineinhalb Jahren aus Berlin als Sonderermittler zur königlich bayerischen Gendarmerie geholt hat und der sich schon bald nach Dienstantritt in seinem ersten Mordfall bewähren konnte, ist wie kein anderer für diesen Auftrag geeignet: Er hatte als junger Jurist beim berühmten Grazer Strafrechtler Hans Groß (1847-1915), dem Gründer der modernen Kriminologie, hospitiert und soll nun in der bayerischen Hauptstadt die neuen, von Groß erfundenen kriminalistischen Methoden wie Fingerabdruck- und Spurensicherung am Tatort einführen, zumal es in München noch keine richtige Kriminalabteilung gibt. So macht sich der kürzlich zum preußischen Major der Reserve beförderte Freiherr mit seinem neumodischen, ebenfalls von Hans Groß entwickelten Tatortkoffer, der bei der Gendarmerie inzwischen Gryszinskis Markenzeichen ist, und, unterstützt von den beiden Wachtmeistern Vogelmaier, genannt Spatzl, und Eberle, an die Ermittlungsarbeit in einem von Künstlern geprägten, moralisch lockeren Umfeld, das ihm als Preußen mental völlig fremd ist.

Nach ihrem erfolgreichen Romandebüt „Der falsche Preuße“ (2021) über Gryszinskis ersten Mordfall, konzentriert sich Uta Seeburg in ihrem Folgeband „Das wahre Motiv“, kürzlich im Verlag Harper Collins erschienen, auf das bunte Faschingstreiben in Schwabing, dem als „Schwabylon“ berüchtigten Viertel mit seinen sogar für Münchner Konservative allzu lockeren Moralvorstellungen und rauschenden Festen. Auf der Suche nach dem unheimlichen Mörder, der seine Opfer in kunstvollen, an Gemälde der klassischen Mythologie erinnernde Posen drapiert, muss der preußische Kriminalist tief ins Umfeld der Schwabinger Bohème eintauchen, sich mit konservativen Malerfürsten wie Franz von Lenbach und Franz von Stuck als Vertreter der konservativen Künstlergesellschaft Allotria abgeben ebenso wie mit modernen Künstlern der jungen Münchner Secession oder mit progressiven Dichtern wie Frank Wedekind und Oskar Panizza.

Als wäre dies nicht genug, überrascht auch noch Ehefrau Sophie ihren Mann und die entsetzten Schwiegereltern aus altem preußischen Adel mit einem selbst verfassten Kriminalroman, für dessen Vermarktung sie sogar schon den jungen, kürzlich nach München übersiedelten Verleger Albert Langen (1869-1909) gewinnen konnte. Und zu allem Überfluss nistet sich dann noch der preußische Geheimdienstmitarbeiter Carl-Philipp von Straven ein weiteres Mal in Gryszinskis Wohnung ein mit dem Auftrag, die junge Künstlergruppe auszuspionieren. In ihr vermutet die preußische Regierung eine anarchistische Zelle, die ein Attentat auf den Kaiser plant. Wieder schon im ersten Fall steckt Gryszinski in dem Gewissenskonflikt, entweder seine Ehre als bayerischer Beamter zu verletzen oder jene als preußischer Offizier zu verlieren.

Auch in ihrem zweiten Krimi schafft es die promovierte Literaturwissenschaftlerin Uta Seeburg ausgezeichnet, diese unruhige, vom gesellschaftlichen Wandel geprägte Zeit der Jahrhundertwende – sei es in der Kunst, in der Gesellschaft des Adel oder der Kriminalistik – historisch authentisch und atmosphärisch dicht einzufangen. Vor allem aber gelingt der gebürtigen Berlinerin, die selbst seit vielen Jahren in München lebt, die mentalen und kulturellen Unterschiede zwischen Preußen und Bayern augenzwinkernd und humorvoll zu zeigen, deren Grenzen letztlich doch fließend erscheinen: Seeburgs Preuße aus Berlin entwickelt recht schnell einen unerwartet unpreußischen Hang zum Genuss bayerischer Leckereien wie Bier und Schweinsbraten. Nicht zuletzt diese „Reibung“ bekannter Klischees über Preußen und Bayern geben den Krimis um den preußischen Offizier in München ihr gewisses Alleinstellungsmerkmal unter den deutschen Krimis, verschaffen ihnen den besonderen Reiz und machen deren Lektüre zum erholsamen Spaß. Wir dürfen uns schon auf den dritten Band freuen, der – so die Aussage der Autorin – bereits in Arbeit ist.