Rezension

»Ich bin echt.«

All die Finsternis inmitten der Sterne - Bryn Greenwood

All die Finsternis inmitten der Sterne
von Bryn Greenwood

Bewertet mit 5 Sternen

... drei Worte ... zehn Buchstaben, die Wavy im Brustton der Überzeugung sagt und die so bezeichnend für dieses ungewöhnliche Mädchen in dieser Geschichte sind. Wavy (Koseform von Wavonna) ist 5 als wir ihr das erste Mal begegnen, ihre Eltern sitzen wegen Drogenhandels und anderer Vergehen im Gefängnis und so wird sie bei ihrer Tante und deren Familie untergebracht. Schnell sind sie mit dem dünnen, blassen Mädchen, das sich weigert zu essen, zu sprechen und keinesfalls berührt werden möchte, überfordert. Als dann ihre Mutter wieder entlassen wird, kommen sie in ein Wiedereingliederungsprogramm, das zunächst erfolgversprechend erscheint, doch schon bald rutscht Wavys Mutter wieder ab und dem Mädchen bleiben nur die friedlichen Momente auf der Heuwiese hinter dem runtergekommenen Farmhaus. Wenn sie die Sternbilder betrachten kann, wiegt die Leere nicht so schwer – all die Finsternis inmiten der Sterne.

Kassiopeia ist das auffälligste Sternbild, ihre fünf hellsten Sterne bilden den Buchstaben W oder auch M, je nachdem wie sie am Himmel stehen, und sie gehen niemals unter.

"Mr. Arsenikos sagte, wenn man die Sternbilder kenne, könne man sich nicht verirren. Dann finde man immer wieder nach Hause."
 
Auf dem Weg zurück zum Haus begegnet Wavy eines Abends Jesse Joe Kellen, einem hühnenhaften Mann mit sanften Augen. Er sieht sie, sieht sie wirklich, und er lässt Pausen zwischen den Wörtern, kleine Lücken, die Wavy füllen möchte, wenn sie ihn wiedersieht. Und so entsteht eine besondere und innige Freundschaft, aus der schon bald echte Liebe wächst. Eine Liebe, die nicht sein darf, so echt und wahrhaftig sie auch sein mag.

Leseeindruck

Bryn Greenwoods "All The Ugly And Wonderful Things" schlug in den USA große Wellen, wurde kontrovers diskutiert und sicherte der mutigen Autorin, die selbst Tochter eines ehemaligen Drogendealers ist und einige Parallelen zu der Protagonistin ihres Romans aufweist, einen Platz in den US-Bestsellerlisten. Hierzulande hat der FESTA-Verlag Mut bewiesen und den Roman in sein Programm (FESTA Must Read) aufgenommen. Danke, danke, danke – dieses Werk ist für mich ein Lesehighlight und konnte mich nicht nur von Anfang bis Ende fesseln, sondern vor allem auch immens berühren.

Greenwood erzählt mit großer Intensität und Feinfühligkeit eine Geschichte, die so echt und gleichzeitig unkitschig ist, das sie mitten ins Herz geht. Dabei ist ihr Schreibstil ohne jegliche Schnörkel, klar und stellenweise auch recht nüchtern. Das Thema selbst ist unangenehm und heikel. Doch warum ist das eigentlich so? Geht es hier doch nicht um Pädophilie, sondern um wahre Gefühle, denen Grenzen gesteckt werden, weil es das Gesetz richtigerweise eben vorschreibt. Die Fragen, was ist falsch und was ist richtig; was darf und was überschreitet Barrieren sind zentral und dabei vergisst man nur zu leicht, was eigentlich noch alles falsch im Leben der jungen Wavy läuft. Und eigentlich ist es das, was uns viel mehr schockieren sollte. Sie und ihr kleiner Bruder werden nicht nur vernachlässigt, sondern seelisch regelrecht misshandelt und der einzige Mensch, der sich um sie sorgt und kümmert, der sie liebt und dem sie vertrauen, darf diese Liebe nicht offen leben.

Es ist eine Geschichte der Gegensätze, von all den hässlichen und den wundervollen Dingen eben. Je nachdem wie man es betrachtet – ganz so wie Kassiopeia mal einem W und mal einem A gleicht. Wavy und Kellen haben viel gemeinsam und sie erkennen das, ohne es auszusprechen. Sie sehen sich, blicken tief in den jeweils anderen hinein. Es sind wahrhaftige Gefühle, die zu leben wegen des Altersunterschiedes und der Minderjährigkeit Wavys allerdings nicht nur verboten, sondern auch strafbar ist.
Indem Greenwood vielen Figuren ihrer Geschichte eine Stimme gibt, wird sie zwar stringent aber eben auch abwechslungsreich und von verschiedenen Perspektiven aus erzählt. Über einen Zeitraum von 15 Jahren hinweg begleiten wir also Wavy auf ihren Höhen und Tiefen, lesen eine fiktive und doch so authentisch anmutende Geschichte, dass es schwerfällt sie am Ende wieder loszulassen.

Fazit

"All die Finsternis inmitten der Sterne" ist eine tragisch-schöne, "echte" Geschichte ohne Kitsch. Greenwood erzählt von wahren Gefühlen, vom Kampf für die Liebe, von Außenseitern und Abgestempelten, vom Hässlichen und vom Schönen und eben auch von den steinigen, dunklen Wegen, die zu bestreiten es sich manchmal einfach lohnt, auch wenn sie beschwerlich sind. Es ist wie in einem klassischen Märchen, bei dem nach all den Strapazen für die mutigen und aufrichtigen Helden am Ende vielleicht doch alles gut wird. Daran wollen ... müssen wir glauben.